Gut 75 Jahre nach
Verabschiedung der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte (AEMR) stehen die
Menschenrechte vielfach unter Druck – auch und vor allem durch autoritäres und
rechtsextremes Denken, Bewegungen und Parteien. Das zeigt sich in Deutschland,
in Europa und weltweit in je unterschiedlichen Ausprägungen.
Trotz der großen
Heterogenität der Entwicklungen in verschiedenen Regionen, gibt es
Gemeinsamkeiten. Sowohl die Universalität (Gelten Menschenrechte für alle und
überall?) als auch die Unteilbarkeit der Menschenrechte (Gelten wirklich alle
Menschenrechte? Beispiel: Freiheitsrechte werden in Gegensatz zu sozialen
Rechten gebracht) werden in Frage gestellt.
Gerade wenn menschenrechtliche
Ansprüche mit konkurrierenden Interessen oder auch kollidierenden Normen
konfrontiert sind, kommt es häufig zu emotionalisierten Spannungen in der
Gesellschaft. Insbesondere autoritäre und populistische Kräfte
instrumentalisieren die Spannungen zwischen verschiedenen Ansprüchen gerne und
nutzen sie, um daraus Kapital für eigene machtpolitische, wirtschaftliche oder
ideologische Zwecke zu schlagen, anstatt einen schonenden Ausgleich zwischen
ihnen anzustreben. Besonders deutlich wird dies bei den Themenfeldern
Sicherheit, Wohlstand und Identität:
- Das
Scheitern von Rechtsstaat und liberaler Demokratie und sich verändernde
Bedrohungslagen führen in verschiedenen Staaten weltweit zur Abkehr von Menschenrechten:
Das Versprechen von Sicherheit geht mit einer „harten Hand“ und der
Beschränkung von Freiheitsrechten einher. Auch in Europa verschärft sich ein
Sicherheitsdenken und führt zu menschenrechtlichen Einschränkungen etwa im
Asylbereich.
- Ängste
vor Transformation insgesamt und vor Wohlstandsverlusten insbesondere
(oft in Verbindung gebracht mit der notwendigen sozial-ökologischen
Transformation) sind ein Faktor, der rechten Bewegungen und Parteien Zulauf
beschert. Eine wachsende Mentalität „we first“ scheint internationale
Solidarität zunehmend zu erschweren. Das zeigt sich in der Entwicklungspolitik
aber auch in der Wirtschaftspolitik. Es wird in verschiedenen Ländern weltweit
in Kauf genommen, dass für das Versprechen von Wohlstand Freiheitsrechte
beschnitten werden.
- Rechtsextremismus
ist u.a. dadurch gekennzeichnet, dass er bestimmte Gruppen ausschließt: Von
Teilhalbe und von Rechten. Auch über diese direkten Ausschließungen hinaus
spielen Gruppenzugehörigkeit und die Konstruktion von Identität eine
wichtige Rolle in der aktuellen Gefährdung von Menschenrechten. In einem
identitären Denken wird die pluralistische Gesellschaft und liberale
Vorstellungen zum Feindbild, was sich etwa im Blick auf Genderfragen zeigt.
Weltweit wird ausgehend von Identitätsfragen häufig die Universalität von
Menschenrechten in Fragen gestellt.
In den kommenden
Jahren wird die Deutsche Kommission Justitia et Pax mit der Unterstützung einer
interdisziplinären Arbeitsgruppe diese Entwicklungen untersuchen und
Handlungsempfehlungen für Gesellschaft, Politik und Kirche entwickeln. Dabei
sollen sowohl internationale als auch nationale Entwicklungen sowie
Wechselwirkungen zwischen den verschiedenen Ebenen analysiert werden. Dabei
stehen die folgenden Leitfragen im Vordergrund:
- Wie
werden Universalität und Unteilbarkeit in Frage durch autoritäre Akteure in
Frage gestellt?
- Wie
setzen autoritäre Akteure verschiedene Menschenrechte unter Druck?
- Welche
Strategien wenden populistische und extremistische Kräfte an, um einen konstruktiven
Umgang mit den Spannungen zu unterbinden?
- Wie
müssen Lösungsfindungsprozesse gestaltet werden, um konstruktiv und effektiv zu
sein und idealerweise die Menschenrechte nicht nur zu wahren, sondern zu
fördern? Wie müssen diese Strategien ausgestaltet werden, um im Wettbewerb mit
populistischer Rhetorik und Vorgehensweisen bestehen zu können?
- Wie
kann eine solche (Menschenrechts-)Politik erfolgreich kommuniziert werden?
- Welche
Rolle kann Kirche spielen, um für konstruktive Modi der Lösungsfindung zu
werben und Resilienz gegenüber autoritären Tendenzen zu schaffen?