Die Möglichkeit, Abschied zu nehmen und zu trauern und das Wissen, dass die Toten auf eine angemessene Art und Weise versorgt und bestattet werden, ist für viele Menschen Voraussetzung dafür, dass sie wieder zu einem alltäglichen Leben übergehen können. Menschen finden keinen Frieden, solange ihre Toten nicht ruhen. Existenzielle Verlusterfahrungen erfordern rituelle Totenpflege und individuelle Bestattungs- und Abschiedsformen. Der Tod wird als Zäsur verständlich und somit erträglicher. Die respektvolle Bewahrung der Integrität der Verstorbenen dient zugleich einer ehrfurchtsvollen Hinwendung zur Würde des Lebens an sich. Die würdevolle Behandlung der Toten spiegelt den Wunsch nach einem angemessenen Umgang mit den lebenden Angehörigen wider, denn sie sind durch den Verlust eines vertrauten, geliebten, beschützenden oder zumindest präsenten Menschen vulnerabel geworden.
In vielen Fällen – etwa im Kontext von Krieg, Unrechtsherrschaft oder Flucht – wird das grundlegende menschliche Bedürfnis nach einem angemessenen Umgang mit den Toten jedoch erschwert oder sogar gezielt unterbunden. Häufig werden die Toten in diesen Kontexten auch zum Ziel bewussten Gewalthandelns: Angehörigen werden die Orte und Umstände des Todes verschwiegen, der Zugang zu den Gräbern wird behindert, Gräber werden geschändet und die Toten propagandistisch diffamiert, angemessene Bestattungen werden unterbunden. Solches Handeln zielt auf die Angehörigen bzw. die Gruppen, aus denen die Toten stammen. Es ist ein Instrument der Repression, das die Menschenwürde der Betroffenen erheblich verletzt und selbst nach dem Ende der Gewalt und über Generationen hinweg ganze Gesellschaften spaltet.
Die Deutsche Kommission Justitia et Pax hat eine Arbeitsgruppe mit Expertinnen und Experten aus unterschiedlichen Fachbereichen einberufen, die die Auswirkungen des Fehlens eines angemessenen Umgangs mit den Toten aus einer menschenrechtlichen Perspektive analysiert und Handlungsempfehlungen entwickelt, entsprechenden Verletzungen entgegenzuwirken. Dazu hat die Arbeitsgruppe im Austausch mit internationalen Partnern unterschiedliche Kontexte studiert, in denen der angemessene Umgang mit den Toten beeinträchtigt ist: der Umgang mit den im Mittelmeer verstorbenen Geflüchteten am Fallbeispiel Lampedusas, das gewaltsame Verschwindenlassen an den Beispielen Mexiko und Kolumbien und verschiedene Kriege, u.a. auch der aktuelle Krieg Russlands gegen die Ukraine.