Justitia et Pax bekräftigt Ablehnung eines Krieges gegen den Irak

Erklärung der Deutschen Kommission Justitia et Pax

Die Deutsche Kommission Justitia et Pax hat sich im Rahmen ihrer Herbstsitzung in Berlin mit der aktuellen Lage im Irak als Herausforderung für eine ethisch fundierte Politik befasst. In einer Erklärung vom 20.10.2002 zur aktuellen Situation im Mittleren Osten stellt die Kommission fest, dass sie ein militärisches Eingreifen derzeit für nicht legitim hält. Im Zentrum der Bemühungen muss die Wiederaufnahme einer effektiven Kontrolle und Abrüstung der Massenvernichtungsmittel des Irak stehen.

Auch wenn man die Unrechtmäßigkeit des Regimes in Bagdad sowie die von ihm ausgehende Bedrohung in Rechnung stelle, äußerte die Kommission Zweifel, ob die Bedrohung so unmittelbar und gravierend sei, dass das Mittel des Krieges in Betracht gezogen werden dürfe. Insbesondere bewertete sie jene Tendenzen kritisch, die mittels eines Krieges einen Regimewechsel im Irak herbeiführen wollen. Krieg dürfe nicht zu einem gleichsam „normalen“ Mittel der Politik werden. Die Kommission bekräftigte hingegen, dass die Rückkehr der Waffeninspektoren sowie die Vernichtung möglicher Massenvernichtungswaffen von der Weltgemeinschaft aktiv betrieben werden müsse. Dabei komme es aber darauf an, dass das die erforderlichen Maßnahmen gegen den Irak sowohl inhaltlich als auch formal dem Völkerrecht entsprächen.

Die Kommission warnte vor den absehbaren negativen Folgen eines Krieges gegen den Irak für die Region und damit für den Weltfrieden insgesamt. Sie machte darauf aufmerksam, dass kein überzeugendes Konzept für eine an Demokratisierung und Menschenrechten ausgerichtete Entwicklung vorliege. Dieses sei aber für den Fall einer weitergehenden militärischen Auseinandersetzung mit dem Irak unabdingbar, um eine weitere Destabilisierung der Region zu vermeiden. Gegenwärtig müsse es aber vor allem darum gehen, die Wirtschaftssanktionen neu auszurichten, um den dringlichen humanitären Belangen der Zivilbevölkerung Rechnung zu tragen.

Die Politik der Staatengemeinschaft gegenüber dem Irak müsse von entschiedeneren Bemühungen als bisher begleitet werden, die Spirale der gewaltsamen Auseinandersetzungen im gesamten Nahen und Mittleren Osten, insbesondere zwischen Israel und den Palästinensern zu beenden.

Die Erklärung im Wortlaut:

Kriegsverhütung und Beseitigung von Massenvernichtungsmitteln müssen Ziele der Irak-Politik bleiben

Erklärung der Deutschen Kommission Justitia et Pax zur aktuellen Situation im Mittleren Osten (20.10.2002)

In der internationalen Gemeinschaft und ebenso in der deutschen Öffentlichkeit wird seit Monaten eine lebhafte Diskussion über die Politik gegenüber dem Irak geführt. Seit vielen Jahren versucht die dortige Regierung in offenkundig systematischer Weise, sich den Auflagen der Vereinten Nationen nach dem Ende des Konflikts um Kuwait 1991 zu entziehen. Diese zielen darauf ab, das Entstehen neuer Potentiale an Massenvernichtungswaffen im Irak zu verhindern. Bereits Ende 1998 waren deswegen die politischen Spannungen bis an die Grenze des Kriegs eskaliert - daher wurden die im Land tätigen UN-Waffeninspektoren zurückgerufen. Weil Saddam Hussein den Inspektoren seitdem die Wiedereinreise verweigerte, kann sich die Staatengemeinschaft seit mehreren Jahren kein genaues Bild mehr über die Waffenproduktion im Irak machen. Auch die kontrollierte Vernichtung von biologischen und chemischen Kampfstoffen sowie von Anlagen zu deren Herstellung war nicht mehr möglich. Ebenso wenig besteht Klarheit darüber, wie weit der Irak bei den vermuteten Bemühungen um die Produktion von Atomwaffen vorangekommen ist.

Diese Situation rechtfertigt ein entschiedenes Handeln der Staatengemeinschaft. Der irakische Staatschef Saddam Hussein hat wiederholt Angriffe auf Nachbarstaaten befohlen und Massenvernichtungswaffen gegen die Zivilbevölkerung des Irak eingesetzt. Deswegen wäre die Entscheidung, ihm bei Aufrüstungsplänen mit solchen Waffen freie Hand zu lassen, nicht zu verantworten. Die Vereinten Nationen stehen vielmehr in der Pflicht, ihren eigenen Beschlüssen Geltung zu verschaffen. Wir begrüßen deshalb, dass die Situation im Irak wieder auf die Tagesordnung des UN-Sicherheitsrates zurückgekehrt ist und Bagdad die Bereitschaft bekundet hat, künftig wieder internationale Waffeninspektionen zuzulassen. Ob damit die Weichen für eine politische Lösung der aktuellen Krise gestellt sind und die Kriegsgefahr abgewendet werden kann, ist jedoch keineswegs gewiss.

Die Deutsche Kommission Justitia et Pax hat sich bereits im Frühjahr 2002 gegen ein militärisches Vorgehen gegenüber dem Irak ausgesprochen. Die zwischenzeitlich eingetretene Entwicklung lässt es erneut notwendig werden, dass wir auf einige grundsätzliche Gesichtspunkte hinweisen, die sich aus der katholischen Friedensethik ergeben. Diese Gesichtspunkte bleiben für uns auch dann verbindlich, wenn sich der UN-Sicherheitsrat zur Autorisierung eines militärischen Vorgehens im Irak entschließen sollte. Sie bilden zugleich eine wichtige Orientierung für Soldaten bei der Prüfung der Frage, ob sie in Treue zu ihrem Gewissen einen von ihnen eingeforderten Gehorsam zu leisten vermögen.

(1) Zunächst ist zu bedenken, dass die Art der Maßnahmen, die gegen den Irak ergriffen werden sollen, von einer plausiblen Abschätzung der von ihm ausgehenden Gefahren abhängig gemacht werden muss. Dies gilt insbesondere dann, wenn der Einsatz militärischer Mittel erwogen wird. Angesichts der schlimmen Erfahrungen der vergangenen zwanzig Jahre darf die mit dem Regime Saddam Husseins verbundene Bedrohung nicht niedrig eingeschätzt werden. Jedoch spricht auch nach der Auffassung der USA viel dafür, dass der Irak durch die bis 1998 geleistete Arbeit der Waffeninspektoren und in Folge der UN-Sanktionen nicht wieder das Ausmaß militärischer Macht hat aufbauen können, über das er zu Zeiten des Zweiten Golfkriegs verfügt hatte. Vor diesem Hintergrund kann ernsthaft bezweifelt werden, dass die irakische Gefahr so unmittelbar und so gravierend ist, dass das Instrument des Krieges in Betracht gezogen werden dürfte. Nicht nur nach katholischer Auffassung ist Krieg eines der schwerwiegendsten Übel und darf daher niemals zu einem gleichsam "normalen" Mittel der internationalen Politik werden. Die Anwendung von Gewalt darf überhaupt nur in Extremsituationen in Betracht gezogen werden, wenn einem bewaffneten Angriff, einem Genozid oder dauerhaften und schwersten Menschenrechtsverletzungen anders nicht wirksam begegnet werden kann. Dagegen höhlt jede Beanspruchung eines Rechts zum "Präventivkrieg" die ethischen und rechtlichen Begrenzungen, unter denen Gewaltanwendung steht, in gefährlicher Weise aus. Denn dies kann von allen anderen Staaten als Präzedenzfall betrachtet werden.

(2) In der internationalen Diskussion und vor allem in der Debatte, die in den Vereinigten Staaten geführt wird, besteht weiterhin eine gewisse Uneinigkeit über das Ziel eines Vorgehens gegen den Irak und seine Legitimität. Deswegen bekräftigen wir unsere Überzeugung, dass es um die Rückkehr der Waffeninspektoren und die Zerstörung möglicher Massenvernichtungswaffen gehen muss, damit die Gefahr eines Krieges in der Region oder darüber hinaus abgewendet wird. Hingegen stellt der Sturz einer von der Staatengemeinschaft anerkannten Regierung keinen Grund dar, der es hinreichend rechtfertigen könnte, einen Krieg zu beginnen. Dies heißt keineswegs, dass sich Politik gegenüber den Praktiken menschenrechtsverletzender Regime rein passiv zu verhalten hätte; im Gegenteil kann und muss mit politischen Mitteln entschieden auf eine Änderung dieser Herrschaftspraxis hingewirkt werden. Würde hierzu jedoch auf kriegerische Mittel zurückgegriffen, so bedeutete dies eine Infragestellung des völkerrechtlichen Gewaltverbots, dessen Respektierung und Durchsetzung für den Friedenserhalt im internationalen Staatensystem von zentraler Bedeutung ist. Es aufs Spiel zu setzen, wäre daher kontraproduktiv. Allerdings unterstreicht dies die Dringlichkeit, mit der es nichtmilitärische Möglichkeiten zu entwickeln gilt, in friedenspolitischer wie menschenrechtlicher Hinsicht notwendige Veränderungen des Staatenverhaltens zu erreichen.

(3) Alle Maßnahmen gegen den Irak müssen von der legitimen völkerrechtlichen Autorität beschlossen werden. Es war deshalb wichtig, dass die USA auf die Vereinten Nationen zugegangen sind und sich um eine international abgestimmte Lösung bemühen. Denn alle Länder sind verpflichtet, die Entscheidungen der zuständigen Organe auch dann zu respektieren, wenn sie ihren eigenen Vorstellungen zuwiderlaufen. Angesichts der jüngsten Beschlüsse des Kongresses der Vereinigten Staaten hoffen wir, dass die Anerkennung dieses Prinzips künftig wieder deutlicher zum Ausdruck gebracht wird, als dies in den vergangenen Wochen der Fall war. Von der deutschen Bundesregierung erwarten wir, dass sie sich in Abstimmung mit ihren europäischen Partnern für die Stärkung der für Aufgaben der Friedenssicherung zuständigen internationalen Institutionen und die Fortentwicklung des internationalen Friedenssicherungsrechts einsetzt.

(4) Bei der Entscheidung über einen möglichen Einsatz militärischer Mittel müssen stets die absehbaren negativen Folgen berücksichtigt werden. Ein Krieg gegen den Irak würde aller Wahrscheinlichkeit nach eine sehr hohe Zahl von Opfern, von Toten und Verkrüppelten fordern - vor allem unter der Zivilbevölkerung, aber auch unter den Soldaten. Auch besteht die Gefahr, dass seitens des Irak Massenvernichtungswaffen zum Einsatz kommen, auf den andere Staaten in der Region entsprechend reagieren könnten. Besonders die Bevölkerung Israels, an deren Sicherheit uns Deutschen besonders liegen muss, wäre massiv gefährdet. Großes Leid auch für die palästinensische Bevölkerung wäre eine unmittelbare Folge. Eine militärische Auseinandersetzung könnte zudem schwerwiegende politische Verwerfungen im gesamten Nahen und Mittleren Osten nach sich ziehen und die Ablehnung des Westens in der arabischen und muslimischen Welt vertiefen. Die letzten Terroranschläge im Jemen und in Indonesien haben die Dringlichkeit dieser Problematik verdeutlicht. Es gilt, sie als Demonstration der Bereitschaft zu weitergehender Konfrontation ernst zu nehmen.

(5) Bislang fehlt eine überzeugende Perspektive dafür, wie und mit welchen politischen Kräften nach dem Ende selbst eines auf Irak begrenzbaren Kriegs eine grundlegende Reform des dortigen politischen Systems erreicht werden könnte. Sie müsste eine Demokratisierung sowie einen substanziellen Menschenrechts- und Minderheitenschutz erwarten lassen. So könnte sie zur Stabilisierung des Mittleren Ostens beitragen und der Gefahr entgegenwirken, dass der Irak unter bürgerkriegsartigen Auseinandersetzungen zerbricht. Doch trifft das Regime Saddam Husseins zwar auf politische Gegnerschaft inner- und außerhalb des Landes, aber es bestehen begründete Zweifel daran, dass es den Vertretern dieser Oppositionsgruppen um einen Systemwechsel unter demokratischen Vorzeichen geht. Würde das gegenwärtige Regime militärisch besiegt, so könnten daher auf die intervenierenden Staaten Aufgaben in einem Umfang zukommen, dass dies einem neuen Protektorat nahe käme. Dadurch würde jedoch die gegen die Vereinigten Staaten gerichtete Grundströmung in der Region, die weit in die Gesellschaften hineinreicht, massiv verstärkt. Die bisherigen Fortschritte auf dem Weg einer Stabilisierung der Verhältnisse in Afghanistan könnten einen schweren Rückschlag erleiden und der Konflikt um Palästina weiter angefacht werden.

(6) Die jüngste Entwicklung im Hinblick auf das nordkoreanische Atomprogramm zeigt, dass selbst eine kurzfristig wirksame Beseitigung der Bedrohung mit Massenvernichtungsmitteln von Seiten des Irak das zugrunde liegende Problem nicht zu lösen vermag, wie man einer zunehmenden Weiterverbreitung (Proliferation) dieser Art von Bewaffnung wirksam begegnen kann. Zu befürchten ist eher, dass ein Angriff auf den Irak das Streben nach Massenvernichtungsmitteln allenthalben noch stimulieren könnte, weil dem Argument, dass man sich nur durch solche Waffen vor Militärinterventionen schützen könne, mehr Überzeugungskraft zugebilligt würde. Ein Krieg gegen den Irak wäre daher zur Verringerung des Proliferationsrisikos nur sehr begrenzt wirksam, möglicherweise sogar kontraproduktiv. Eine politische Strategie, wie das Problem der Weiterverbreitung grundsätzlich gelöst werden könnte, scheint derzeit nicht in Sicht. Bis auf weiteres beschränken sich die praktisch verfolgten Initiativen im wesentlichen darauf, den Prozess der Weiterverbreitung zu verlangsamen. Dieses System weist jedoch große Lücken auf; es macht deswegen weiterreichende politische Schritte zu einer Reduzierung der Proliferationsanreize erforderlich, wie sie auf der Verlängerungskonferenz für den Nichtverbreitungsvertrag für Kernwaffen 1995 und bei anderen Gelegenheiten nachdrücklich gefordert wurden.

Vor diesem Hintergrund drängen wir nachdrücklich darauf, einen Krieg im Irak zu vermeiden. Zwar muss auf das Regime des Saddam Hussein politischer Druck ausgeübt werden, um seine militärische Handlungsfähigkeit so weit zu begrenzen, dass er andere Staaten in der Region und darüber hinaus nicht bedrohen kann. Doch darf dies nicht dazu führen, dass sich aus diesem Druck eine Eskalationsautomatik entwickelt, die unvermeidlich in einen Krieg mündet. Die Politik ist es den Menschen in der Region, die Opfer kriegerischer Auseinandersetzungen zu werden drohen, aber auch den dabei einzusetzenden Soldaten schuldig, alle gegebenen Spielräume für eine gewaltvermeidende politische Lösung auszuschöpfen.

Daher muss es gegenwärtig vor allem darum gehen, das bisherige Konzept der Wirtschaftssanktionen neu auszurichten, um den dringlichen humanitären Belangen der Zivilbevölkerung im Irak Rechnung zu tragen. Die weltweite Einhaltung solcher zielgerichteter Maßnahmen muss strikt kontrolliert werden. Bei dieser Neuausrichtung der Sanktionspolitik ist allerdings darauf zu achten, dass eine realistische Aussicht auf deren Aufhebung besteht, sofern der Irak konstruktiv mit den Waffeninspektoren zusammenarbeitet und den übrigen vom UN-Sicherheitsrat beschlossenen Auflagen entspricht. Nur wenn diese Politik mit dem nötigen Nachdruck betrieben wird, hat sie eine Chance, den politisch-militärischen Aktionsradius des Regimes in Bagdad wesentlich zu verkleinern und sein Gefährdungspotential so weit zu beseitigen, dass er zu einem Angriff unfähig wird. Nur dann besteht aber auch die begründete Hoffnung, dass sich die innenpolitischen Verhältnisse im Irak, vor allem die unter menschenrechtlichen Aspekten unannehmbare Praxis dieses Staates, in einer grundlegenden Weise wandeln können.

Die Politik der Staatengemeinschaft gegenüber dem Irak muss von entschiedeneren Bemühungen als bisher begleitet werden, die Spirale der gewaltsamen Auseinandersetzungen im gesamten Nahen und Mittleren Osten zu beenden. Die Zeit drängt, dort eine stabile Friedensordnung zu errichten, die auf der Achtung vor der Menschenwürde und der Garantie der Menschenrechte aller Einwohner der Region aufruht. Besondere Bedeutung hat hier die Lösung des Konfliktes zwischen Israel und den Palästinensern, dessen Fortdauer zur Stärkung mancher Despotie in dieser Region beiträgt und selbst dem Diktator Saddam Hussein zeitweise Sympathisanten zugetrieben hat. Nur wenn alle Völker der Region den begründeten Eindruck gewinnen, dass ihre Interessen in den Machtzentren der internationalen Politik ernsthaft berücksichtigt werden, kann langsam jenes Vertrauen wachsen, ohne dass es keinen Frieden gibt und stattdessen ständig mit dem Ausbruch neuer Krisen gerechnet werden muss.

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