20.04.2023
Welche Folgen hat der Krieg in der Ukraine für Europa und seine Sicherheitsarchitektur? Darüber diskutierte am Mittwochabend ein digitales Podium auf Einladung von Justitia et Pax und des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK).
Welche Folgen hat der Krieg in der Ukraine für
Europa und seine Sicherheitsarchitektur? Darüber diskutierte am
Mittwochabend ein digitales Podium auf Einladung von Justitia et Pax und
des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK). Annegret
Kramp-Karrenbauer, der Erste Vizepräsident des Europäischen Parlaments,
Dr. Othmar Karas, Bischof Dr. Heiner Wilmer SCJ und Kathrin Vogler (Die
Linke) hatten differenzierte Antworten.
Fast 14 Monate dauert die militärische Eskalation Russlands in der Ukraine bereits an. Der Krieg kostet unzählige Menschenleben, verletzt das Völkerrecht, bedroht die staatliche Integrität und erschüttert die Sicherheitsordnung Europas. Bischof Heiner Wilmer, Vorsitzender der Deutschen Kommission Justitia et Pax, sprach von einem „Paradigmenwechsel vor der Haustür“. Dieser Paradigmenwechsel dürfe aber nicht dazu verleiten, ein Feindbild aufzubauen: „Russland ist ein Teil von Eu-ropa“. Es könne nicht nur um die Frage gehen, wie die Ukraine den Krieg gewinne, sondern entscheidend sei: „Wie kommen wir zu einer neuen Friedensordnung?“
Annegret
Kramp-Karrenbauer, Sprecherin des ZdK-Sachbereichs „Nachhaltige
Entwicklung und globale Verantwortung“, forderte „mehr europäische
Zusammenarbeit“. So müssten die europäischen Staaten „mehr in die NATO
einbringen, als das bisher der Fall ist“. Zur künftigen europäischen
Sicher-heitsarchitektur gehöre aber auch, die nationalen Interessen
nicht aus den Augen zu verlieren. Emmanuel Macrons Forderung nach mehr
europäischer Souveränität dürfe nicht vergessen machen, „dass die
Souveränität eines Landes auch zu den europäischen Werten gehört“.
Kathrin Vogler, Parlamentarische Geschäftsführerin der
Bundestagsfraktion Die Linke, sagte, sie werde allerdings „misstrauisch
bei Wertebündnissen. In Wahrheit geht es doch um gemeinsame Interessen
von Bündnispartnern“. Othmar Karas, Erster Vizepräsident des
Europäischen Parlaments, forderte eine „europaweite Debatte über
Verteidigungspolitik“. Er stellte fest: „Wir haben den
Systemunterschieden zu lange keine Bedeutung beigemessen. Wäre die
Ukraine Mitglied der NATO gewesen, dann wäre sie nicht angegriffen
worden. Die Erweiterung der EU und der NATO ist wichtig. Sie tut der
Sicherheit in Europa gut.“
Kathrin
Vogler forderte, dass die Suche nach einer künftigen europäischen
Sicherheitsarchitektur auch berücksichtigen müsse, Geflüchtete an den
EU-Außengrenzen nicht mehr als Gefahr für die Sicherheit Europas zu
betrachten. Eine neue europäische Sicherheitsarchitektur müsse auch eine
neue Flüchtlingspolitik beinhalten. Wer wolle, dass sich Menschen gar
nicht erst auf die Flucht begäben, müsse bereit sein, Demokratie- und
Freiheitsbewegungen andernorts zu unterstützen: „Auch aus Russland
flüchten Menschen, die mit der Politik Putins nicht konform gehen. Wir
müssen wahrnehmen, welche Verantwortung wir dafür tragen, dass
Oppositionelle unterstützt werden. Da hat die Bundesregierung versagt.“
Othmar
Karas lenkte den Blick auf den Zusammenhang zwischen Politik und
Religion. Er könne sich im einem fatalen Machtbündnis wie dem zwischen
Putin und Patriarch Kyrill zeigen. Es sei aber andererseits auch
möglich, dass sich religiöse Player als Friedensstifter bewährten. „Wie
halten wir es eigentlich mit der Religion?“, fragte Bischof Wilmer. „Für
diese Frage müssen wir uns in Europa wieder öffnen.“
Alle Teilnehmenden der Diskussion waren sich einig darin, dass der Frieden schon im Krieg vorbereitet werden müsse. „Russland darf nicht gleichgesetzt werden mit Putin“, forderte Annegret Kramp-Karrenbauer. „Investition in die Jugend, die Bildung, in die Zukunft“ forderte Othmar Karas. Bischof Wilmer berichtete von eigenen Erfahrungen mit dem Studium in Frankreich in den 1980er Jahren: „Solche Begegnungen schaffen Frieden.“ Sie taten es zu einer Zeit, als vielen Deutschen der älteren Generation Frankreich noch als Feind aus Kriegszeiten in Erinnerung war. Kathrin Vogler warnte „vor einer Sicherheitspolitik, die auf Militarisierung hinausläuft“. Vielmehr sei entscheidend, abzurüsten und auf eine starke Diplomatie zu setzen. „Eine Friedensordnung findet man nur mit Russland.“
Die Deutsche Kommission Justitia et Pax hatte sich im März 2022 mit einer Erklärung
zum Ukraine-Krieg positioniert. Das Präsidium des Zentralkomitees der
deutschen Katholiken verabschiedete im September 2022 den Beschluss „Friedensethik in Kriegszeiten: Impulse für die Verteidigungspolitik der 20er-Jahre“.