Wege zur Globalen Impfgerechtigkeit

Im Rahmen einer öffentlichen Online-Veranstaltung wurde die Erklärung des Vorstands der Deutschen Kommission Justitia et Pax zum Thema „Gerechtigkeit und Solidarität in der internationalen Verteilung von Corona-Impfstoffen“ am 13. Juli 2021 öffentlich vorgestellt und anschließend diskutiert.

Im Rahmen der Einführung in die Erklärung betonte Professor Michelle Becka die Notwendigkeit, im Einsatz für globale Impfgerechtigkeit unterschiedliche Maßnahmen komplementär zu denken: In der aktuellen gesellschaftlichen Debatte zu Impfgerechtigkeit werden die verschiedenen möglichen Maßnahmen als einander ausschließende Alternativen präsentiert: Entweder man unterstützt COVAX oder man unterstützt den TRIPS-Waiver. Diese „entweder-oder“-Logik sei aber weder notwendig noch zielführend. Jetzt in der Krise sei es geboten, alle Möglichkeiten, die dazu geeignet sind, eine bessere und gerechtere Versorgung mit Corona-Impfstoffen weltweit zu ermöglichen, auch zu nutzen. Die unterschiedlichen Maßnahmen müssen komplementär genutzt werden und dürfen nicht gegeneinander ausgespielt werden.

In der anschließenden Diskussion besprachen Heike Baehrens (MdB und Vorsitzende des Unterausschusses Globale Gesundheit des Deutschen Bundestags), Dr. Georg Kippels (MdB und Mitglied des Unterausschusses Globale Gesundheit des Deutschen Bundestags), Harald Zimmer (Senior Referent Internationales beim Verband Forschender Arzneimittelhersteller e.V.) und Prof. Dr. Walter Bruchhausen (Professor für Global Health am Institut für Hygiene und Public Health des Universitätsklinikums Bonn) die zentralen Thesen der Erklärung der Deutschen Kommission Justitia et Pax. Dabei wurde es deutlich, dass die unterschiedlichen Maßnahmen, die aktuell im Hinblick auf eine bessere Versorgung mit Corona-Impfstoffen weltweit diskutiert werden, in der Tat jeweils unterschiedliche Stärken und Schwächen haben und dass daher die unterschiedlichen Maßnahmen komplementär gedacht werden sollten:

Walter Bruchhausen erläuterte, man müsse sowohl die Frage der Lizenzen als auch die Frage der Produktionskapazitäten im Blick behalten, um die Versorgung mit Impfstoffen zu steigern. In diesem Sinne könnte man es durchaus so interpretieren, dass der US-Präsident Joe Biden sich aus der Verantwortung stehle, wenn er Forderungen nach Patentlockerungen unterstützt, nicht aber gleichzeitig baldige Produktionskapazitäten für die hochkomplexe Herstellung von mRNA-Impfstoffen sichergestellt seien. Bei HIV wären nicht nur die unerlässlichen Patentaussetzungen, sondern auch massive internationale Geldmittel entscheidend dafür gewesen, dass der allgemeine Zugang zu den neuartigen Medikamenten ermöglicht wurde. Die Frage der Preisgestaltung bleibe immer zu berücksichtigen. In jedem Fall müsse das Menschenrecht auf Gesundheit bei allen politischen und wirtschaftlichen Entscheidungen vorrangig berücksichtigt werden.

Georg Kippels zeigte sich durch die Äußerungen des US-Präsidenten zu möglichen Patentlockerungen irritiert. Dessen Äußerungen zur Frage des Patentschutzes schüre falsche Erwartungen. Entscheidend sei aus seiner Sicht die Frage der technischen Voraussetzungen. Aus diesem Grunde engagiere sich die Bundesregierung entschlossen im Bereich der Soforthilfe und beim Aufbau von neuen Produktionskapazitäten. Aktuell stelle die Bundesregierung z.B. 50 Millionen Euro für den Aufbau von Produktionskapazitäten in Afrika bereit.

Harald Zimmer verwies auf die Erfolge der Pharmaindustrie beim Aufbau neuer Kapazitäten in der Impfstoffproduktion und erläuterte, dass er es für ein fatales Signal an die forschenden pharmazeutischen Unternehmen halten würde, wenn der Schutz der Patente eingeschränkt würde. Der Patentschutz sei nämlich Voraussetzung für den Erhalt der Innovationsfähigkeit. Stattdessen brauche es eine bessere Verteilung der produzierten Impfstoffe, eine Optimierung der Produktion, offene Handelswege und weitere Innovationen. Im Bereich der Lizenzproduktionen gebe es bereits viel Bewegung. Exportstopps, wie z.B. aktuell in Indien, würden jedoch eine bessere Verteilung der produzierten Impfstoffe behindern. Es sei im Interesse der forschenden Arzneimittelhersteller, dass in Zukunft Impfstoffe auch in Regionen wie Afrika erforscht und produziert werden. Entsprechende Pläne gebe es bereits seitens der African Union und anderer Institutionen. Eine schnellere Umsetzung sei aus logistischen Gründen jedoch nicht möglich.

Heike Baehrens wünschte sich nicht nur guten Willen, sondern auch konkretes Handeln. Das liege auch im Eigeninteresse von Deutschland, denn aufgrund der Mutationen des Virus werde Deutschland nur sicher sein, wenn COVID-19 weltweit eingedämmt ist. Daher müssen die aktuellen Bemühungen intensiviert und beschleunigt werden. Rein freiwillige Maßnahmen hätten sich dabei nicht als ausreichend erwiesen. Freiwillige Lizensierungen etwa werden gerade nur sehr zögerlich genutzt. Daher seien die Forderungen nach dem TRIPS-Waiver gut verständlich. Alle Maßnahmen, und daher auch eine befristete Aussetzung von Patentrechten, müssen genutzt werden, um die Produktionskapazitäten weltweit hochzufahren. Die entsprechenden Voraussetzungen zum Aufbau von Produktionskapazitäten seien auch in den Ländern des Globalen Südens gegeben. Impfstoff sollte ein öffentliches Gut sein, das allen zur Verfügung gestellt und im Sinne einer Verantwortung gegenüber dem Gemeinwohl gerecht verteilt werden müsse. Die aktuellen Berichte über Preisverhandlungen zwischen den Pharmaunternehmen und Ländern des Globalen Südens (wie z.B. aktuell in Vietnam) zeigten jedoch, dass die Unternehmen dieser Verantwortung von sich aus nicht gerecht werden würden. Dass Problem der Knappheit dürfe nicht über den Preis geregelt werden, sondern müsse gerecht gelöst werden.

Einigkeit besteht bei den Podiumsgästen darüber, dass die aktuellen Probleme bei der Beschaffung und Verteilung von Impfstoffen symptomatisch für grundlegendere, chronische Probleme im Global-Health-Bereich seien. Heike Baehrens mahnt daher an, dass im Rahmen der multilateralen Zusammenarbeit (insbesondere über die Weltgesundheitsorganisation) mehr dafür getan werden müsse, um die Gesundheitssysteme der Länder des Globalen Südens zu stärken. Dies sei umso wichtiger angesichts der Tatsache, dass die Pandemie die weltweiten Ungleichheiten noch einmal verschärft habe. Wichtig sei es dabei die verschiedenen Ziele für Nachhaltige Entwicklung zusammenzudenken. Auch Georg Kippels sieht die Pandemie als einen Warn- und Weckruf für das Thema Globale Gesundheit und Stärkung der Gesundheitssysteme. Der Weltgesundheitsorganisation müsse finanziell wie strukturell mehr Durchschlagskraft gegeben werden, um die ihr anvertrauten Aufgaben erfüllen zu können. Auch die lokalen Gesundheitswirtschaften müssten gestärkt werden, um die immer noch zahlreichen weißen Flecken im Hinblick auf die Gesundheitsversorgung zu füllen und ein weltweites Netz von stabilen Gesundheitssystemen zu schaffen.

Einig waren sich die Podiumsgäste auch dabei, dass bei der Verteilung von Impfstoffen sogenannte Leistungsträgerinnen und -träger nicht privilegiert werden dürfen, sondern dass allein die individuelle medizinische Dringlichkeit über die Impfpriorisierung Ausschlag geben darf. Vor diesem Hintergrund bewertete Heike Baehrens die Privilegierung von Leistungsportlern bei der Verteilung von Impfstoffen, zu der es etwa im Zuge der Olympischen Spiele dieses Jahr in Tokio gekommen ist, als Gerechtigkeitsproblem. Insgesamt waren sich die Podiumsgäste einig, dass zum aktuellen Zeitpunkt die Ausrichtung von Großereignissen vor großem Präsenz-Publikum, wie jüngst bei der Fußball-Europameisterschaft der Herren, unverantwortlich und unsolidarisch sei. Während auch Harald Zimmer die Entscheidung der Sportverbände kritisch einschätzte, Großereignisse zu Zeiten der Pandemie auszurichten, verteidigte er dabei aber die Bereitstellung von Impfstoffen durch die Impfstoffhersteller für die Teilnehmenden. Die Spende sei eine Hilfestellung, um zu vermeiden, dass aus den Sportereignissen Super-Spreading-Events werden. Walter Bruchhausen schätzte hingegen die symbolische Wirkung solcher Spenden als verheerend ein, auch wenn Spenden wie die Impfstoffspende von Biontech/Pfizer an das IOC zahlenmäßig kaum zu Buche schlagen. Auch die Entscheidung der EU-Kommission, im Vorfeld der Olympischen Spiele Exportverbote für Impfstoffe nach Japan aufzuheben, während die Exportverbote gegenüber anderen Ländern bestehen bleiben, widerspreche der Werteentscheidung zugunsten der Prinzipien der individuellen Dringlichkeit und der Solidarität.

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