Rückblick auf und Überlegungen zur Amtszeit 2014-2019

Als die Amtsperiode 2014 begann, zeichnete sich die heute international bestimmende Krise des Multilateralismus in ersten Zügen ab. Die voreiligen Hoffnungen auf einen arabischen Frühling hatten sich zerschlagen.

Anstelle dessen bildete sich im Nahen und Mittleren Osten ein Konfliktgebilde aus, das lokale, regionale sowie globale Ebenen besitzt und das mittlerweile nicht zu Unrecht oft mit den Konfliktkonstellationen des 30jährigen Krieges verglichen wird.

Mit der Annektierung der Krim und dem Krieg in der Ostukraine 2014 wurde deutlich, dass die bisherige auf regelorientierter Kooperation basierende internationale und europäische Sicherheitsarchitektur grundsätzlich herausgefordert wurde. Das Erstarken an Hegemonie orientierter Politiken der „Großen Mächte“ wurde offensichtlich. 

Auch das europäische Projekt der EU geriet sowohl von außen als auch von innen unter  zunehmenden Druck. Die sogenannte Flüchtlingskrise 2015 und deren Folgen legten die inneren Spannungen der EU sowie damit verbunden ihre eingeschränkte Handlungsfähigkeit nach außen in neuer Weise offen und verstärkten diese. Das Brexit-Referendum 2016 sowie der anwachsende Rechtspopulismus in Europa sind Ausdruck dieser schmerzhaften Prozesse.

Mit der Wahl von Donald Trump zum US-Präsidenten im Dezember 2016 und der Wahl von Jair Bolsonaro zum Präsidenten Brasiliens 2018 verschärfte sich die internationale Krise des Multilateralismus zusätzlich. Diese Krise zeigte sich insbesondere dort, wo die internationale regelbasierte Kooperation in besonderer Weise dringend erforderlich ist: bei den Fragen des Klimaschutzes sowie bei der Beendigung der Kriege im Mittleren und Nahen Osten und in der Ukraine.

Diesen problematischen Entwicklungen standen – gewissermaßen als gegenläufige Trends – die Veröffentlichung von Laudato Si, die Verabschiedung der SDGs, die Beschlüsse des Pariser Klimagipfels sowie des Global Compacts gegenüber. Auch im europäischen Kontext wuchs angesichts der Herausforderungen der Gegendruck zur Neufundierung des europäischen Projekts. Damit spannte sich ein Horizont von Konflikten auf, die es sicherlich auch in den kommenden Jahren mit großem Einsatz zu bearbeiten gilt. Die politischen Auseinandersetzungen haben in den vergangenen Jahren ein neues Maß an Grundsätzlichkeit gewonnen. Der Orientierungsbedarf ist gewachsen und es zeigen sich deutliche Gefahrenpunkte und Herausforderungen der Globalisierung.

Zu Beginn der Amtszeit von Justitia et Pax 2014 wurden diese zunehmenden Störungen zwar wahrgenommen. Sie wurden allerdings bei der Verabschiedung des Arbeitsprogramms noch nicht explizit berücksichtigt. Dennoch zeigte sich, dass die europäische und internationale Grundausrichtung des Arbeitsprogramms im Laufe der Amtszeit in der Lage war, auf die sich verschärfenden Fragestellungen sowohl inhaltlich als auch in der Wahl der Handlungsformate konstruktiv zu reagieren.

Ich denke dabei etwa an die Einrichtung der Ad hoc – Gruppe „Rechtspopulismus“. Wir haben das Thema in einem mir noch gut erinnerlichen Gespräch mit Zbigniew Nosowski aus Polen sowie erst in der vergangenen Sitzung der Kommission behandelt. Justitia et Pax gab mit seiner inhaltlichen Initiative zudem einen wesentlichen Impuls, dass sich nun auch die Bischofskonferenz intensiv mit dem Thema befasst. Die entsprechenden Dialoge in Brüssel gemeinsam mit Justitia et Pax Europa oder beim Dikasterium in Rom haben diese Arbeit auch für andere fruchtbar gemacht.

Ein anderes Beispiel für die Notwendigkeit flexibel zu reagieren, war die Ankündigung der Bundesregierung ein neues Weißbuch Sicherheitspolitik zu verfassen. Wir haben uns gestützt auf die Expertise der Arbeitsgruppe Gerechter Friede intensiv mit den aktuellen sicherheitspolitischen Fragen befasst, unsere Ansprüche an das Weißbuch formuliert sowie das veröffentlichte Weißbuch kommentiert. Zudem waren einige Mitglieder der Kommission bzw. der Geschäftsstelle in den Konsultationsprozess zum Weißbuch einbezogen. Das Gespräch mit General Breuer im Rahmen der Kommissionssitzung war ein wichtiger Teil dieses Dialogprozesses.

Eine besondere Mischung aus Flexibilität, Kreativität und Kontinuität war erforderlich, als sich die kolumbianische Bischofskonferenz an die Deutsche Bischofskonferenz mit der Bitte wandte, dass wir mit ihnen unsere Erfahrungen beim Umgang mit gewaltbelasteter Vergangenheit teilten. Vor dem Hintergrund der langjährigen Erfahrungen der Kommission in diesem Arbeitsfeld, nicht zuletzt im Zusammenhang der Maximilian-Kolbe-Stiftung, lag es nahe, die Federführung für dieses Projekt der Kommission anzuvertrauen. Dem Workshop mit den Kolumbianern in Berlin folgten gemeinsam mit der AGEH veranstaltete Workshops in Kolumbien und 2018 erneut in Berlin. Den in diesem Zusammenhang entstandenen Film kann ich nur empfehlen.

An anderen Stellen kam es darauf an, inhaltlich Kurs zu halten und unser Arbeitsprogramm abzuarbeiten. Wir haben daher in der Arbeit der Kommission an der Begleitung der Agenda 2030 festgehalten. Im Rahmen unserer Frühjahrssitzung 2016 haben wir uns unter dem Titel „Nachhaltig leben und gerecht wirtschaften“ mit der Umsetzung der Agenda und der kirchlichen Verantwortung befasst.

Dann gab es unseren Jubiläumskongress im Herbst 2017, der der menschenwürdigen Arbeit gewidmet war. Auch er stand im Zusammenhang der Umsetzung der Agenda 2030. Der Kongress hat nicht zuletzt das weltweite Partnernetzwerk sowie die Anerkennung, die die Kommission im politischen Raum genießt, sinnfällig gemacht. An dieser Stelle darf die Briefmarke nicht unerwähnt bleiben.

Bezeichnend für diese Amtszeit war sicherlich das hohe Maß an europäischer Ausrichtung unserer Diskussionen. So haben wir uns mit der Gemeinsamen Agrarpolitik sowie der gemeinsamen Außen-und Sicherheitspolitik der EU befasst. Das Gespräch mit Elmar Brock zur Russland-Ukraine-Krise gehört nicht zu den schlechtesten Momenten dieser Amtszeit.

Ich kann jetzt an dieser Stelle nicht alle Initiativen erwähnen, die zu erwähnen wären. Aber es lässt sich m.E. ohne Übertreibung sagen, dass die Kommission mit den Grundperspektiven ihres Arbeitsprogramms richtig lag. So formulierte sie in ihrem Arbeitsprogramm:

Mit den sich intensivierenden Prozessen der Europäisierung sowie Globalisierung ergeben sich nicht nur neue Themen internationaler Politik sondern auch stärker internationale politische Zusammenhänge, in denen sich JP inhaltlich wie operativ verorten muss, will die Kommission ihre inhaltlichen Anliegen auch zukünftig wirksam verfolgen. So speist sich das Engagement in Europa sowohl aus einem inhaltlichen Ansatz, dem Beitrag zum europäischen Friedensprojekt, als auch aus einem pragmatisch-politischen Ansatz, dass ohne eine entsprechende europäische Zusammenarbeit in den uns interessierenden Politikfeldern keine längerfristige Wirksamkeit zu erwarten ist. Ähnlich verhält es sich mit dem Engagement im Rahmen von UN-Organisationen, wo insbesondere die ILO sowie der Menschenrechtsrat in Genf zu nennen sind.“

Für alle Arbeitsbereiche gilt, dass eine angemessene innerkirchliche Zusammenarbeit mit dem Päpstlichen Rat, im Kontext von JP Europa sowie mit anderen kirchlichen Einrichtungen und Netzwerken für die Wirksamkeit der Arbeit der Kommission wünschenswert und nötig ist. Die innerkirchliche Kooperation und Vernetzung ist als Teil des weltkirchlichen Selbstverständnisses und zu nicht geringen Teilen als Wirkungsvoraussetzung zu verstehen.

Das wurde besonders augenfällig bei unserem Engagement zur menschenwürdigen Arbeit im Rahmen der ILO. Die soziale Realität der Weltkirche bietet einen vielschichtigen Zusammenhang, in dem es gelingen kann, die aktuellen Herausforderungen zu artikulieren und über gemeinsame Antworten ins Gespräch zu treten.

Mit der Bildung des Dikasteriums für die ganzheitliche menschliche Entwicklung ist allerdings unsere „Marke“ JP in Rom verschwunden. Auch wenn die inhaltliche Ausrichtung die Handschrift von Justitia et Pax trägt, so bleibt doch abzuwarten, was dieser Markenverlust auf lange Sicht bedeutet.

Die wachsende Bedeutung internationaler Zusammenarbeit war für die Amtsperiode prägend. Sie ist geradezu ein Zeichen der Zeit. So konnte Justitia et Pax die unterschiedlichen Handlungsräume von Kirche und Politik in den Blick nehmen und in enger Verbindung mit anderen kirchlichen und zivilgesellschaftlichen Akteuren die Erkenntnisse der katholischen Soziallehre in Prozesse einbringen und deren Potentiale für eine auf die Bedürfnisse der Menschen gerichtete praktische Politik erweisen.

Die spezifischen Arbeitsformen und Zusammenhänge von Justitia et Pax helfen, Antworten auf die aktuellen Herausforderungen zu formulieren. Allerdings tun wir uns manchmal schwer, die profund erarbeiteten Papiere in kontinuierliche politische Dialoge zu bringen. Wir haben gewiss in den letzten vier Jahren in dieser Hinsicht zugelegt. Ich nenne dazu unsere Dialoge in Tansania zum Recht auf Gesundheit oder in Warschau zu den Perspektiven der gemeinsamen europäischen Außen- und Sicherheitspolitik. Aber da sollte noch mehr gehen. Unsere Möglichkeiten im Feld des politischen Dialogs in Berlin sind noch nicht ausgeschöpft. Nicht zuletzt aus diesem Grund haben wir nach kraftvollen Diskussionen entschieden, unsere Geschäftsstelle nach Berlin zu verlegen.

Entsprechend des systemischen Selbstverständnisses der Kommission innovativ, exemplarisch, subsidiär und handlungsorientiert vorzugehen und dabei den kirchlichen Gesamtzusammenhang im Blick zu behalten, tritt die Kommission in der Praxis als Forum und Akteurin in vielfältigen, nicht zuletzt ökumenischen Kooperationen auf. Ihr systemischer Mehrwert beruht gerade in der zielgerichteten Verschränkung der unterschiedlichen politischen und kirchlichen Ebenen mit Blick auf eine Stärkung des kirchlichen Gesamtauftritts. Multilateralismus, Multiperspektivität und geordneter Konfliktaustrag gehören zu den Grundbausteinen der Praxis der Kommission.

Unter den Bedingungen der sich säkularisierenden und tendenziell technokratischen Gesellschaft sowie dem zugleich neu aus unterschiedlichen Quellen wachsenden Interesse an der Bedeutung von Religion, Religiösität sowie Religionsgemeinschaften für gesellschaftliche Prozesse kommt den kirchlichen Beiträgen zu den einschlägigen gesellschaftlichen Diskursen zudem verstärkt die Bedeutung eines Zeugnisses für ein ganzheitliches Verständnis vom Menschen und seiner gesellschaftlichen Bedingungen zu. Unsere Dialoge zum Recht auf Gesundheit und unser Engagement im Rahmen von PaRD haben dies sehr deutlich werden lassen.

Papst Franziskus hat mit seiner Enzyklika Laudato Si die praktische Bedeutung der Soziallehre erneut sinnfällig werden lassen. Sie stellte in dieser Amtszeit eine enorme Ermutigung dar. Vor dem Hintergrund der sich verschärfenden Klimaprobleme ist Laudato Si zugleich eine Aufforderung an uns, aktiver zu werden und der „Schwäche der Reaktion“ entgegenzutreten.

Die Potentiale unserer Arbeit sind beachtlich. In der Vielzahl der möglichen Aktivitäten und der mit ihnen verbundenen Arbeitsbelastungen kommt es allerdings darauf an, die eigenen Handlungsstränge klar zu fokussieren und gut zu kommunizieren. Dies ist umso wichtiger, als dem alltäglichen Geschäft eine Dynamik innewohnt, die immer neue Erwartungen schafft, die nicht alle befriedigt werden können. Der Gefahr einer Diffusion der Tätigkeit und damit der Schwächung des Profils (und in Folge der Wirksamkeit) der Arbeit gilt es, mittels kluger strategischer Planung und Reflektion zu wehren. Ebenso wird über die Öffentlichkeits- und Kommunikationsstrategien der Kommission nachzudenken sein.

Schaut man auf die vielfältigen Aktivitäten der Kommission, in den Sachbereichen Frieden, Entwicklung und Menschenrechte sowie in den Kooperationen, wie z.B. der GKKE, der MKS oder dem EDP so wird deutlich, dass die Tätigkeit der Kommission von ihrem kirchlich systemischen Verständnis, ihrer Fähigkeit zur zielgerichteten Verbindung sowie zum gemeinsamen Lernen im Lichte des Evangeliums und auf der Grundlage der Katholischen Soziallehre lebt. Dass sie dabei auf die Kooperationsbereitschaft aller Beteiligten angewiesen ist und die auf diesem Wege gewonnenen Einsichten jeweils weiterer Umsetzung und Veränderung bedürfen, liegt auf der Hand. Nicht alles muss Justitia et Pax machen. Die Erfahrungen und Begegnungen auf den gemeinsamen Wegen stellen aber eine wichtige Ermutigung dar, die Verhältnisse und Prozesse nicht sich selbst zu überlassen, sondern ihnen verlässlich die praktisch wirksame Hoffnung auf eine ganzheitliche menschliche Entwicklung entgegenzuhalten.

Bischof Dr. Stephan Ackermann


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