Die Ungleichheit nimmt
weltweit zu. Globalisierung und Digitalisierung führen zu einer wachsenden
Ungleichverteilung der Einkünfte und des Vermögens, die bedrohliche Ausmaße
angenommen hat. Wachsende Armut und Elend – auch in Industrieländern – bei
übermäßiger Konzentration von Reichtum stellen eine Gefahr für den sozialen
Zusammenhalt und die demokratische Ordnung dar. Die damit verbundene
Ungerechtigkeit ist ethisch nicht vertretbar. In Evangelii Gaudium (EG) hat Papst Franziskus die Ungleichverteilung
als „die Wurzel der sozialen Übel“ (EG 202) bezeichnet.
Die Katholische
Soziallehre hat das Problem der Ungleichheit und Ungerechtigkeit von Anfang an
kritisiert. In Rerum Novarum hat Papst Leo XIII. 1891 vor 125 Jahren die
Anhäufung des „Kapitals in den Händen einer geringen Zahl, während die große
Menge verarmt“ (RN 1) als ein Ergebnis der Industrialisierung kritisiert. Die
Enzyklika Quadragesimo Anno beklagte
1931 im Zuge der Weltwirtschaftskrise „den ungeheuren Gegensatz von wenigen
Überreichen und einer unübersehbaren Masse von Eigentumslosen“ sowie eine
Verelendung des
Proletariats im Süden und insbesondere auf dem Land (QA 59).
Wachsende Ungleichheit
ist aber kein Naturgesetz. Sie kann reduziert werden durch wirk-same
Regulierung und Wettbewerbspolitik, durch Investition in bessere Bildung und
Aus-bildung gerade einkommensschwacher Gruppen und durch eine gerechtere und
effektivere Besteuerung. Steuergerechtigkeit ist ein wichtiges Instrument zur
Reduzierung von Ungleichheit und Ungerechtigkeit. Die ungleich geringere
Besteuerung von Kapital im Vergleich zur Arbeit bzw. von Vermögen zu Einkommen
fällt bei einer kritischen Betrachtung zunächst ins Gewicht. Die Besitzenden
haben überproportional gute Chancen, reicher zu werden. Dies bestätigt sich beim
Blick auf die beachtliche Umverteilung von den Arbeitseinkommen hin zu den
Unternehmens- und Vermögenseinkommen etwa in den letzten 10 Jahren.
Bereits in der Finanz-
und Wirtschaftskrise hat die Deutsche Kommission Justitia et Pax 2009 und 2011 im
Einklang mit dem Päpstlichen Rat für Gerechtigkeit und Frieden die Politik ermutigt,
Gemeinwohlbindung vor Einzelinteressen zu setzen und internationale Kooperation
vor nationalstaatliche Egoismen. Wirksam werden solche ethisch klar begründeten
Ziele freilich erst dann, wenn sie gegenüber dem Finanzsektor durchgesetzt
werden. Die Politik muss die Finanzakteure zügeln und die Abläufe in der Finanzwirtschaft
soweit steuern, dass internationale Finanzstrukturen den Menschen dienen, indem
sie es durch geeignete Finanzdienstleistungen Unternehmen erleichtern, Waren zu
produzieren oder Dienstleistungen zu erbringen, welche grundlegende Bedürfnisse
für alle befriedigen. Auf dem Weg zu einer Neuordnung des globalen
Finanzsystems ist es notwendig „die europäische Integration weiter zu vertiefen
und die Grundlagen dafür zu schaffen, im Sinne der Wirtschaftsgemeinschaft und
einer gemeinsamen finanzpolitischen Handlungsfähigkeit nationalstaatliche
Kompetenzen an Europa abzugeben.“ Diese Forderung aus dem Jahr 2011 klingt
heute nach dem Brexit wie aus der Zeit gefallen, hat aber nichts von ihrer
Gültigkeit verloren.
Als ein
Regulierungsinstrument haben wir, die Deutsche Kommission Justitia et Pax, die
Einführung einer Finanztransaktionssteuer und die entsprechende Kampagne
„Steuer gegen Armut“ von Anfang an (Herbst 2009) unterstützt. Zum einen, weil
diese Steuer vor allem kurzfristige Spekulationen weniger attraktiv macht, die
ja eine wichtige Ursache der Krisen war; zum anderen, weil die durch diese
Steuer generierten Einnahmen zur Bekämpfung der Armut und des Klimawandels,
d.h. zur Verwirklichung von mehr Gerechtigkeit eingesetzt werden könnten.
Die diesjährige
Konzertierte Aktion von Justitia et Pax Europa befasst sich mit der wachsenden
wirtschaftlichen Ungleichverteilung und Besteuerung. Die europäischen Justitia
et Pax-Kommissionen setzen sich dafür ein, den neuen Vorstoß der Europäischen
Kommission zur Harmonisierung der Bemessungsgrundlagen für die Körperschaftssteuer
aktiv zu unterstützen, Steuerschlupflöcher zu schließen und die EU-Richtlinie
über den automatischen Austausch von Steuervorbescheiden bis 01. Januar 2017 in
nationales Recht umzusetzen. Zudem sollen sich die nationalen Regierungen beim
von der OECD entwickelten „Base Erosion and Profit Shifting (BEPS)“ engagieren.
Diese Initiative der OECD will sicherstellen, dass zukünftig Gewinne dort besteuert
werden, wo wirtschaftliche Aktivitäten und Wertschöpfung tatsächlich
stattfinden. Die Bundesregierung hat versichert, dass sie sich gegen unfairen
Steuerwettbewerb und für mehr Transparenz in der internationalen
steuerpolitischen Zusammenarbeit einsetzt und den erfolgreichen Abschluss des
BEPS-Prozesses als einen Indikator dafür wertet, dass der manchmal mühsame Weg doch
zum Ziel führt.
Ich habe mich sehr
gefreut, dass die EU-Wettbewerbskommissarin Margarethe Vestager die
Steuerabsprachen zwischen Apple und Irland für unzulässig erklärt hat und das
Unternehmen nun 13 Milliarden Euro zurückzahlen muss. Es kann nicht sein, dass
auch in Europa einige Unternehmen ihre Steuern zahlen und sich andere aufgrund
ihrer großen Marktmacht ohne Konsequenzen aus der Verantwortung stehlen können.
So sieht kein fairer Wettbewerb aus. Das genannte Verfahren ist ein sehr
ermutigendes Beispiel dafür, wie die Europäische Union Steuergerechtigkeit und
fairen Wettbewerb durchsetzen kann. Und es wäre hoch erfreulich, wenn diese
Rückforderungen in den EU-Haushalt für Zukunftsinvestitionen fließen könnten.
Die Jesuitenmission
Nürnberg hat das Forschungsprojekt Steuergerechtigkeit und Armut seit 2013
zusammen mit dem Jesuit-Hakimani-Center Nairobi und mit dem Jesuit Center for
Theological Reflexion (JCTR) durchgeführt, mit dem uns in der deutschen
Justitia et Pax-Kommission eine langjährige Kooperation in Menschenrechtsfragen
verbindet.
Aus Gesprächen mit
Bischofskollegen z. B. aus Nigeria ist mir das Argument vertraut: Gebt uns das Geld
zurück, was unsere Eliten uns geraubt und u.a. in der Schweiz und in Luxemburg gehortet
haben. Dann, so die Argumentation, wären wir weniger abhängig von internationaler
Entwicklungshilfe. Wir alle wissen: Entwicklung muss im eigenen Land beginnen,
dort muss eine effektive Steuerverwaltung aufgebaut werden, müssen transparente
Haushaltserstellung und -kontrolle, z.B. Rechnungsprüfungsausschüsse
durchgesetzt werden. Good governance ist Voraussetzung und Wirkung von
financial good governance. Aber Regierungen müssen auch zu einem solchen
Handeln befähigt werden, nicht nur durch internationale Hilfe, sondern vor
allem durch faire wettbewerbs- und steuerrechtliche Regelungen. Unternehmen,
die mit der Ausbeutung der Ressourcen ihres Landes Gewinne machen, müssen fair
besteuert werden können. Auch das verlangt die Subsidiarität in der
internationalen Zusammenarbeit.
Für den zukünftigen
Diskurs möchte ich die Frage der Verwendung der Erträge aus der internationalen
Zusammenarbeit gegen Steuerhinterziehung und Steuerdumping ansprechen. Sie sollten
für die Finanzierung öffentlicher Güter und damit zur Bekämpfung von Armut und zunehmender
Ungleichheit verwendet werden. Die Erträge wären schon jetzt ein hochnotwendiger
Beitrag z.B. zur Finanzierung von Bildung und Ausbildung in finanzschwachen
Ländern: eine Zukunftsinvestition, die nachgewiesenermaßen das nationale
Bruttoinlandsprodukt nachhaltig steigert sowie Lebens- und Arbeitsperspektiven
für junge Menschen in ihren Heimatländern schafft.
Die Finanzierung
öffentlicher Güter aus den so gewonnenen Steuererträgen wäre sicher auch ein
lohnendes Thema für die kommende deutsche Präsidentschaft der G-20. Der
diesjährige G-20-Gipfel hat leider keine Initiative gezeigt, die
Finanztransaktionssteuer global einzuführen.
Das vorgestellte Forschungsprojekt
kann sicher nur ein Baustein sein auf dem Weg zu mehr Steuergerechtigkeit. Ich
wünsche aber dem Baustein, der da in Nürnberg gelegt wird, dass er viele
engagierte und kreative Nachahmer findet. Justitia et Pax wird diese Diskussion
nach Kräften weiter begleiten - in Deutschland, in Europa und international.
Trier, den 15.09.2016
Dr. Stephan Ackermann,
Bischof von Trier
Vorsitzender der
Deutschen Kommission Justitia et Pax
Mehr zur Präsentation der Forschungsergebnisse am 29. Sept in
Nürnberg unter: http://www.taxjustice-and-poverty.org/events.html