Obwohl offiziell Waffenruhe gilt, herrschen im Osten der Ukraine Chaos
und Gewalt. Bischof Stephan Ackermann ist Vorsitzender der Deutschen
Kommission Justitia et Pax, einer Einrichtung der
Deutschen Bischofskonferenz
und des Zentralkomitees der deutschen Katholiken, zur Förderung von
Entwicklung und Frieden. Für den Bischof ist klar, dass es einen langen
Atem und viel Geduld braucht, bis der Konflikt im Land überwunden ist,
erzählt er im Interview.
Frage: Herr Bischof, in Sachen Krieg in der Ukraine haben sich die deutschen Bischöfe reichlich bedeckt gehalten. Warum?
Ackermann:
Ich glaube nicht, dass man unsere Position richtig wiedergibt mit
"bedeckt halten". Die Deutsche Kommission Justitia et Pax hat sich im
März 2013 während der Krim-Krise sehr klar positioniert. Darüber hinaus
stehen wir in gutem Kontakt mit unseren Schwesterkirchen in der Ukraine.
Ich selbst hatte die Gelegenheit, im Spätsommer letzten Jahres die
Synode der griechisch-katholischen Kirche besuchen zu können. Bei der
Gedenkveranstaltung der Bischofskonferenz aus Anlass des 25. Jahrestags
des Mauerfalls waren Bischof Gudziak und Professor Marynovych aus der
Ukraine eingeladen, mit uns die gegenwärtigen Herausforderungen zu
diskutieren. Richtig ist, dass wir nicht jede Woche eine Erklärung
verabschieden, sondern derzeit vielmehr darauf setzen, in engem
solidarischen Kontakt mit unseren Partnern nach Möglichkeiten zu suchen,
konstruktive Beiträge zu leisten.
Frage: Halten Sie eine politisch-diplomatische Lösung des Konflikts für möglich?
Ackermann: Natürlich
ist eine solche Lösung möglich. Die Frage ist vielmehr, welche Lösung
konkret gemeint ist und in welchem Zeithorizont wir von Lösung sprechen.
Ein Schweigen der Waffen ist bestenfalls der Beginn eines Lösungsweges.
Klar ist,
je länger es Gewalt gibt
, desto zerstörerischer wird sie sich auf die Verhältnisse in der
Ukraine und auf die internationalen Beziehungen auswirken. Von daher ist
das Eindämmen der Gewalt eine notwendige erste Bedingung. Doch sollten wir uns darauf einstellen, dass wir uns
wahrscheinlich einer sehr langen Auseinandersetzung mit Russland
gegenüber sehen. In dieser Auseinandersetzung dürfen wir die Ukraine
nicht alleine lassen. Russland gegenüber brauchen wir eine klare
Politik, die sowohl eine Rückkehr zu den Grundlagen des internationalen
Rechts als auch Angebote zur langfristigen Kooperation enthält - so wie
die Bundesregierung es mit großem Engagement betreibt.
Frage:
Es gab und gibt - wenn auch sehr umstritten - von westlicher Seite
Überlegungen, die Ukraine unter Umständen mittels Lieferung sogenannter
Defensivwaffen zu unterstützen. Was halten Sie davon?
Ackermann: Zuerst
einmal ist festzustellen, dass die Ukraine das legitime Recht hat, sich
gegen die offensichtliche Aggression von Russland aus zu verteidigen.
Daher ist es auch legitim zu diskutieren, ob man die Ukraine mit
Waffenlieferungen unterstützt.
Allerdings benötigt man selbst für den
Fall, dass man zu der Auffassung gelangt, die Ukraine militärisch
unterstützen zu müssen, einen politischen Plan. Jeder Schritt in diesem
Gelände muss zum Ziel haben, die Gewalt und die Aggression einzudämmen.
Frage:
Die kirchliche Situation in der Ukraine ist, gelinde gesagt,
kompliziert. Da ist die eher prorussische ukrainisch-orthodoxe Kirche
des Moskauer Patriarchats, da ist die ukrainisch-orthodoxe Kirche des
Kiewer Patriarchats, da sind die mit Rom unierte griechisch-katholische
Kirche, die lateinische Kirche und die ukrainische autokephale orthodoxe
Kirche. Den Mitgliedern all dieser Kirchen ist gemein: sie sind
Christen. Aber wo stehen sie in dem Konflikt?
Ackermann: Die
kirchliche Lage in der Ukraine
ist in der Tat komplex und hat eine lange Geschichte. So wie ich
die Dinge wahrnehme, steht gerade die ukrainisch-orthodoxe Kirche des
Moskauer Patriarchats derzeit vor einer ernsten Zerreißprobe. Ganz
offensichtlich berührt der Krieg die Menschen in der Ukraine tief. Dabei
kommen viele Erinnerungen an andere Gewalterfahrungen hoch. Insgesamt
ergibt sich das Bild, dass der Krieg eine deutliche Mehrheit der
Ukrainer unterschiedlicher Herkunft eint, und dass zum anderen die Frage
nach dem Verhältnis zu Russland, das traditionell für die Ukraine und
besonders für die Orthodoxie eine herausgehobene Rolle spielt, in neuer
Radikalität aufgeworfen ist. Dass ein solcher Orientierungsprozess unter
Schmerzen verläuft, ist nur verständlich.
Frage: Herr Bischof, Ihr Bistum Trier ist der
griechisch-katholischen Kirche in der Ukraine eng verbunden. Was hören
Sie von dort?
Ackermann: Unsere Caritas steht in
regelmäßigem Kontakt mit den Partnern in der Ukraine. Das sind die
Caritas in Ivano-Frankivsk in der Westukraine und die Stiftung Boden in
Konotop in der Ostukraine. Die Partner versorgen die Flüchtlinge und zum
Teil auch die Soldaten mit Lebensmitteln, Medikamenten, warmer Kleidung
und Decken. Auch psychologische Hilfe wird geleistet, soweit die
personellen Möglichkeiten gegeben sind. Aktuell wird überlegt, ob wir
ein gemeinsames Projekt zur Bewältigung der Kriegstraumata aufbauen
können. Ein großes Problem, so sagen uns die Partner, ist die Versorgung
der chronisch Kranken mit Medikamenten, da die Preise bis auf das
Dreifache gestiegen sind und weder die Betroffenen noch unsere Partner
die dazu nötigen Mittel haben.
Frage: Wie auch immer die Sache
in der Ukraine ausgeht: Wird es nicht eines sicherlich langwierigen
Kulturdialogs bedürfen zwischen dem, was oft die "russische Seele"
genannt wird, und dem Westen, damit es wirklich Frieden in Europa gibt?
Ackermann: Mal
abgesehen davon, dass mir der pathosgeladene Begriff der "russischen
Seele" nicht gefällt, da er Russland auf eine spezifische Position
festlegt, was der Vielschichtigkeit der russischen Gesellschaft nicht
gerecht wird, bin ich fest davon überzeugt, dass wir mit Geduld und
langem Atem den Dialog zwischen den verschiedenen europäischen
Perspektiven und Russland vertiefen müssen. Ich bin auch etwas
skeptisch, wenn vereinfachend von "dem Westen" die Rede ist, der in
Wahrheit auch eine spannungsreiche Vielfalt aufweist. Hier müssen wir
die Erfahrungen der baltischen Länder ebenso einbeziehen wie die Polens,
der Ukraine, Frankreichs, Spaniens und Deutschlands. Dieser
innereuropäische Dialog ist umso wichtiger, als er die Voraussetzung
dafür ist, dass wir eine langfristig belastbare konstruktive Politik mit
und wenn es sein muss gegenüber Russland entwickeln können.
Das Interview führte Peter de Groot (KNA)
Quellenangabe: Weltkirche.de