Justitia et Pax gegen militärisches Vorgehen im Irak

Keine weitere Eskalation der Gewalt!

In einer einstimmig verabschiedeten Erklärung spricht sich die Deutsche Kommission Justitia et Pax entschieden gegen ein immer wahrscheinlicher werdendes militärisches Vorgehen gegen den Irak aus. Im Anschluss an das Friedenswort der Deutschen Bischöfe „Gerechter Friede“ wird zwar die Sorge der Vereinigten Staaten vor einer Aufrüstung des Irak mit Massenvernichtungsmitteln geteilt. Doch bestünden erhebliche Zweifel, ob der Irak tatsächlich mit dem für den 11.09. verantwortlichen Terroristennetzwerk kooperiere. Vor allem aber seien die politischen Mittel für eine Konfliktlösung noch nicht ausgeschöpft. Daher ist nach den Worten der Erklärung ein militärisches Vorgehen derzeit in keiner Weise gerechtfertigt. Außerdem wird auf die leidgeprüfte Zivilbevölkerung im Irak verwiesen und vor der Gefahr einer Verwendung von Massenvernichtungswaffen im Zuge einer gewaltsamen Eskalation gewarnt. Sollte es im Zuge einer Auseinandersetzung zum ersten Mal nach 1945 zu einem Einsatz von Atomwaffen kommen, so bedeute dies eine beispiellose politische und humanitäre Katastrophe. Auch ohne eine solche Eskalation stehe jedoch zu befürchten, dass durch einen weiteren Krieg mit Irak die Spannungen zwischen den Ländern des Westens und der muslimischen Welt noch verschärft würden.

Zu fordern sei deswegen zunächst die Wiederzulassung effektiver Rüstungskontrollinspektionen durch die Vereinten Nationen im Irak. Die seit Jahren in Kraft befindlichen Embargomaßnahmen gegen das Land müssten in einer Weise modifiziert werden, dass die Zivilbevölkerung nicht unter deren Auswirkungen zu leiden hat. Alle gegen das Land beabsichtigten Entscheidungen müssen in enger Abstimmung und Zusammenarbeit innerhalb der Vereinten Nationen geschehen.

Bezüglich Afghanistan wird in der Erklärung auf die fortbestehenden Sicherheitsprobleme im Innern verwiesen und eine möglichst baldige Entfernung und Vernichtung der umfangreichen Bestände an Kleinwaffen sowie die Räumung von Streubomben und Minen gefordert. Bezüglich der im Gewahrsam der Amerikaner und ihrer Verbündeten befindlichen Gefangenen wird zudem auf die dringliche Pflicht hingewiesen, diese in strikter Weise gemäß menschenrechtlichen Erfordernissen zu behandeln. Der Kampf gegen den internationalen Terrorismus werde an Glaubwürdigkeit verlieren, wenn er dazu führe, die menschenrechtlichen Standards immer weiter auszuhöhlen.

Wie bereits im Friedenswort der Deutschen Bischöfe wird auch in der jetzt verabschiedeten Erklärung auf die enge Verbindung von Frieden und Entwicklung hingewiesen: Entscheidend, so muss aus Sicht der Kirche unterstrichen werden, ist es, die Prozesse der Globalisierung in verantwortlicher Weise so zu gestalten, dass politische und wirtschaftliche Rahmenbedingungen geschaffen werden, unter denen nachhaltige Entwicklung gelingen kann.

Die Erklärung im Wortlaut:

Keine weitere Eskalation der Gewalt!

Seit Beginn dieses Jahres mehren sich die Anzeichen dafür, dass es im Zuge ak­tueller Planungen und Maßnahmen, die der Bekämpfung des internationa­len Terro­rismus dienen sollen, zu einer weiteren militärischen Konfrontation mit dem Irak kommen könnte. Noch scheint der politische Entscheidungspro­zeß, der einer sol­chen Entwicklung zugrunde läge, nicht abgeschlossen. Bei den mit den Vereinigten Staaten verbündeten Nationen, aber auch in den USA selbst dauern die Kontrover­sen darüber an, welches Vorgehen in näch­ster Zukunft geraten ist und von wel­chen Schritten Abstand genommen wer­den sollte.

Die Deutsche Kommission Justitia et Pax hält es für geboten, ihre Position in die­ser Diskussion zu bestimmen und sie gegenüber den politisch Verantwort­lichen zur Geltung zu bringen. Sie tut dies in Übereinstimmung mit dem Wort der deut­schen Bischöfe "Gerechter Friede" vom September 2000, in welchem es an zen­traler Stelle heißt: "Wer eine friedlichere Welt will, muss die tieflie­genden Ursa­chen des Krieges bekämpfen. Aus der Perspektive des gerechten Friedens be­deutet das, durch eine Politik der Gewaltvorbeugung Gewaltver­hältnisse auszu­trocknen, die stets neue Gewalt provozieren und produzieren" (Nr. 60).

Wir teilen die Sorge der Vereinigten Staaten vor einer unkontrollierten Auf­rüstung des Irak mit chemischen, biologischen oder nuklearen Massenver­nich­tungsmitteln und einer Trägertechnologie, mit der solche Waffen auch über größere Entfernun­gen eingesetzt werden könnten. Ebenso sind wir uns des Risikos bewusst, dass Massenvernichtungsmittel in die Hände von Terro­risten gelangen und zu verheerenden Anschlägen verwendet werden könn­ten.

Dennoch sprechen wir uns mit Entschiedenheit gegen ein militärisches Vor­gehen gegen den Irak aus. Nach wie vor bestehen substanzielle Zweifel dar­an, ob der Irak tatsächlich mit jenen Terroristen kooperiert und sie begün­stigt, vor denen die internationale Gemeinschaft sich zu schützen sucht. Vor allem aber kann den genannten Gefährdungen noch immer mit politischen Mitteln angemessen begegnet werden; eine Situation, in der neuerliche Ge­waltanwen­dung als einziges erfolgversprechendes Mittel in Betracht zu zie­hen wäre, besteht derzeit nicht. Die Politik ist es nicht zuletzt den in den aktuellen Krisengebieten stationierten Soldaten schuldig, die gegebenen Spielräume für eine gewaltvermeidende politische Lösung tatsächlich auszu­schöpfen und sie vor einer Situation zu bewahren, in der sie sich hinsicht­lich des von ihnen verlangten Gehorsams vor schwerwiegende Gewissensfra­gen gestellt sehen müssten. Gerade die wahrscheinlichen Folgen einer militä­rischen Auseinander­setzung großen Ausmaßes lassen nur den Schluss zu, dass alle Anstrengun­gen unternommen werden müssen, die Gefahr einer wei­teren Eskalation der Gewalt abzuwenden.

Unsere besondere Sorge gilt der leidgeprüften Zivilbevölkerung im Irak, die durch eine kriegerische Konfrontation eine weitere Verschlimmerung ihrer Lage erfahren würde - noch über die hohe Zahl der Opfer hinaus, die aus­gedehnte Kampfhandlungen ohnehin fordern dürften. Die humanitäre Situa­tion im Irak ist seit Jahren alarmierend, und es muss alles dafür getan wer­den, dass sie nicht noch weiter zugespitzt wird. In großer Sorge sind wir jedoch ebenso wegen der Menschen in den übrigen Staaten der Region, ins­besondere in Israel, die von einem Einsatz von Massenvernichtungsmitteln durch den Irak betroffen wären und nur unzureichend hiergegen geschützt werden könnten. Die reale Gefahr einer Verwendung derartiger Waffen durch den Irak wird von keinem politisch oder militärisch Verantwortlichen in Ab­rede gestellt. Ferner sind die möglichen Reaktionen der Nachbarstaaten auf eine solche Kriegführung mit zu bedenken. Es wäre eine beispiellose politi­sche wie humanitäre Katastrophe, wenn ein Krieg mit dem Irak darin endete, dass zum ersten Mal nach 1945 mit dem Einsatz von Atomwaffen nicht mehr nur ge­droht, sondern dieser tatsächlich vollzogen würde.

Auch ohne eine solche Eskalation wären die politischen Konsequenzen eines militärischen Vorgehens gegen den Irak überaus prekär. Viele befürchten, es könnte als neuerlicher Beleg dafür angesehen werden, dass der Konflikt mit Irak letztlich auf eine weitaus umfassendere Konfrontation zwischen westlicher und muslimischer Welt, ja auf fortwirkendes westliches Dominanz­streben zu­rückgeführt werden muss. Daher droht selbst eine möglicherweise militärisch erfolgreiche Aktion zur Erhöhung der internationalen Spannungen beizutragen und solchen Wahrnehmungsweisen von Politik zusätzliche Plausi­bilität zu ver­leihen, die in weiteren Bemühungen um die Erhaltung des Frie­dens nur das Hinauszögern eines unvermeidlichen Zusammenstoßes der Kul­turen zu erbli­ken meinen. Dann aber wäre die Wirkung des gewählten mili­tärischen Han­delns in friedenspolitischer Hinsicht kontraproduktiv.

Um solchen Entwicklungen zuvorzukommen, gilt es auf die Regierung des Irak mit dem Ziel einzuwirken, dass die Rüstungskontrollinspektionen der Vereinten Nationen im Land wieder aufgenommen werden können. Nur Kon­trollen, deren Wirksamkeit außer Zweifel steht, können verhindern, dass politische Bemühun­gen zur Beilegung des Konflikts und zur Vermeidung weiterer Gewalt letzt­endlich scheitern. Die Inspektionen der Vereinten Natio­nen, die bis Ende 1998 im Irak stattfanden, haben nachweislich zu einer weitgehenden - wenn auch offenbar nicht vollständigen - Abrüstung des Landes insbesondere im beson­ders sensitiven Bereich der Nukleartechnologie sowie der Bestände von C- und B-Waffen beigetragen.

Überhaupt sollte die Formulierung der aktuellen Politik gegenüber Irak in enger Abstimmung bzw. Zusammenarbeit innerhalb der Vereinten Nationen er­folgen. Deren bisherige Beschlußfassung ermöglicht es grundsätzlich, so vor­zugehen, dass ein großer politischer Konflikt mit der arabisch-muslimi­schen Welt vermieden werden kann. Für die politische wie völkerrechtliche Legitimi­tät und damit für die Akzeptanz der Irakpolitik ist es von aus­schlaggebender Bedeutung, den innerhalb der Vereinten Nationen erzielbaren Konsens nicht zu verlassen. Insbesondere wäre jedwedes gewaltförmige Vor­gehen "an das geltende Friedenssicherungsrecht und die dort festgelegten Verfahren gebun­den" (Gerechter Friede, Nr. 154), die sicherstellen sollen, dass solche Maßnahmen mit Rücksicht auf das Wohl der gesamten Völkerge­meinschaft und durch autorisierte internationale Gremien beschlossen wer­den.

Zugleich gilt es die seit Jahren in Kraft befindlichen Embargomaßnahmen ge­gen Irak so zu modifizieren, daß nicht wie bisher in erster Linie die Zi­vilbe­völkerung unter dessen Auswirkungen zu leiden hat. Den Verhandlun­gen am Sitz der Vereinten Nationen im Lauf der nächsten Monate kommt daher beson­dere Bedeutung zu - in sicherheitspolitischer, vor allem jedoch in humanitä­rer Hinsicht. Die Hauptverantwortung für das Leiden der Bevöl­kerung trägt zwar fraglos die Regierung des Irak selbst. Dennoch muß ein verändertes Sanktionsregime der Vereinten Nationen die Gefahr weiterer Schädigungen für die Menschen auf ein Minimum reduzieren. Hierin liegt eine zentrale Heraus­forderung für jede Politik, die durch politischen oder wirtschaftlichen Druck die Anwendung militärischer Gewalt vermeiden will: Sie muß die gegebene Bedrohung spürbar vermindern, jedoch zielgerichtet gegen diejenigen, von denen diese Bedrohung ausgeht, nicht mit den Mitteln eines umfassenden Em­bargos, das nur allzu oft auf eine Gefährdung der Lebensgrundlagen der Zivilbevölkerung hinausläuft. Embargomaßnahmen, die speziell gegen die Mög­lichkeiten einer destabilisierenden Wiederaufrüstung im Irak wirksam sind, können eine Alternative für den Fall bieten, dass eine völlige Aufhebung der Sanktionen bis auf weiteres nicht für vertretbar ge­halten wird. Aufmerksam­keit muß zudem der Frage gelten, ob Nachbarstaa­ten, deren wirtschaftliche Entwicklung durch Embargofolgen empfindlich getroffen würde, eine finanziel­le bzw. handelspolitische Kompensation gelei­stet werden sollte. Auch dies könnte dazu beitragen, dass die Sanktionen nicht unterlaufen und damit ihre sicherheitspolitischen Wirkungen ge­schwächt würden.

Über die krisenhafte Zuspitzung im Hinblick auf den Irak darf die Situation in Afghanistan nicht in Vergessenheit geraten. Dringlich sind hier einerseits Maßnahmen zu einem zügigen Wiederaufbau des Landes, vor allem zur Er­rich­tung einer effizienten Infrastruktur. Diese hat die grundlegende Versor­gung der Bevölkerung landesweit ebenso zu garantieren, wie sie deren Ver­trauen in neuerrichtete rechtliche und administrative Strukturen erhöhen muß. Dringlich ist jedoch nicht minder die Lösung fortdauernder Sicher­heitspro­bleme, vor allem außerhalb des Raumes um die Hauptstadt Kabul. Fortgesetzte Auseinandersetzungen zwischen einzelnen Truppenführern in Afghanistan können den durchaus fragilen Friedensprozess noch zusätzlich destabilisieren. Um dieser gefährlichen Situation dauerhaft abzuhelfen, be­darf es jetzt der Entfernung und Vernichtung der im Land verfüg­baren umfangrei­chen Bestän­de an Kleinwaffen sowie der Räumung von Minen und von abgeworfenen Streubomben, damit der alltäglichen Terrorisierung der Bevölkerung der Bo­den entzogen wird. Die gegen im Land verbliebe­ne Taliban bzw. Al-Qaida-Mit­glie­der gerich­teten Kampfhandlungen müssen baldmöglichst been­det werden, zu­mal zu be­fürchten ist, dass diese immer weitere zivile Opfer for­dern.

Wir appellieren an die amerikanische Regierung und ihre Verbündeten, dafür Sorge zu tragen, dass die Menschenrechte der in ihrem Gewahrsam befindli­chen Gefangenen geachtet und geschützt werden. Der Kampf gegen den in­ternationalen Terrorismus würde politisch und moralisch an Glaubwürdigkeit verlieren, wenn er dazu führte, jene elementaren rechtlichen Standards im­mer weiter auszuhöhlen. Denn in ihnen manifestiert sich eine Werteordnung, die gegen jede Form einer gegen sie gerichteten Gewaltpolitik verteidigt zu wer­den verdient. Es wäre eine verhängnisvolle Entwicklung, wenn der Kampf gegen den Terrorismus zu Maßnahmen führte, angesichts derer die zentrale Begründung für diesen Kampf: die Verteidigung einer menschenrechts­freundlichen politischen Ordnung, mit dem Hinweis auf von den Verteidigern selbst begangene Menschenrechtsverletzungen zurückgewiesen werden könn­te.

Das Friedenswort der deutschen Bischöfe stellt fest: "Eine Welt, in der den meisten Menschen vorenthalten wird, was ein menschenwürdiges Leben aus­macht, ist nicht zukunftsfähig. Sie steckt auch dann voller Gewalt, wenn es keinen Krieg gibt. Verhältnisse fortdauernder schwerer Ungerechtigkeit sind in sich gewaltgeladen und gewaltträchtig" (Gerechter Friede, Nr. 59). Wir greifen diese Mahnung auf und betonen den integralen Zusammenhang zwi­schen einer Politik der Gewaltvorbeugung und dem Einsatz für mehr Ge­rechtigkeit, vor allem für eine nachhaltige Bekämpfung weitverbreiteter Ar­mut und Perspektivlosigkeit. Denn vielfach sind solche Verhältnisse nicht nur schwerstes Unrecht an den Armen, sondern können schließlich selbst Gewal­tanwendung als verzweifeltes Mittel der Abhilfe erscheinen lassen. Mehr Ge­rechtigkeit nicht nur in bestehenden National­staaten, sondern auch im inter­nationalen Be­reich ist jedoch nicht allein durch mate­rielle Ent­wick­lungshilfe zu erreichen. Der in Monterrey soeben erzielte Konsens unter­streicht viel­mehr, wie wichtig es ist, politische und wirtschaftliche Rah­men­bedingungen herbei­zuführen, unter denen nachhaltige Ent­wicklung gelingen kann. Eine verantwortliche Steuerung von Globalisierungsprozessen erweist sich deswe­gen als immer dringlicher - auch unter dem Gesichtspunkt wirk­samer Vorbeu­gung gegen alte und neue Formen von Gewalt.

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