GKKE: Kirchen und forschende Arzneimittelhersteller

Grundlagen für konzentrierte Maßnahmen gegen die HIV/AIDS-Pandemie

Der Anlass

Die HIV/AIDS-Pandemie hat sich in wenigen Jahren zu einer der größten Katastrophen der Menschheit entwickelt. Nach Schätzungen von UNAIDS waren Ende 2000 36,1 Millionen Menschen mit HIV infiziert oder schon an AIDS erkrankt. Täglich infizieren sich weitere 15000 Menschen, 95 Prozent davon in Entwicklungsländern.

Es ist eine humanitäre Verpflichtung, auch Menschen in ressourcenarmen Ländern Zugang zu einer umfassenden medizinischen Behandlung zu sichern. Die Gemeinsame Konferenz Kirche und Entwicklung (GKKE) und der Verband forschender Arzneimittelhersteller (VFA) führen seit Jahren in der Fachgruppe Kirchen/Pharmaindustrie einen kontinuierlichen Dialog über Grundfragen der Arzneimittelversorgung in Entwicklungsländern. Dieser ebenso kritische wie vertrauensvolle Austausch hat beide Partner immer wieder veranlasst, ihre jeweiligen Beiträge sowie die gemeinsamen Anstrengungen zur Verbesserung des Zu­gangs zu wirksamen Arzneimitteln in Ländern der Dritten Welt neu zu bestimmen.

Der Verband forschender Arzneimittelhersteller und die Gemeinsame Konferenz Kirche und Entwicklung nehmen den Welt-AIDS-Tag am 1. Dezember zum Anlass, erneut auf die dra­matische Situation in vielen Ländern des Südens aufmerksam zu machen. Die alarmierende Zunahme der Krankheit ist in der Öffentlichkeit zuletzt insbesondere am Beispiel Südafrikas zur Kenntnis genommen worden. Dort lebt mehr als ein Fünftel der 21 Millionen Erwach­senen derzeit mit dem HI-Virus; mehr als eine Viertelmillion Menschen fällt der Krankheit jährlich allein in Südafrika zum Opfer. Schon jetzt zählt das Land mehr als 500 000 AIDS-Waisen. Nach Schätzungen der Weltbank wird sich, wenn der Trend nicht gebrochen wird, das Bruttosozialprodukt Südafrikas in den nächsten zehn Jahren um nahezu 20 Prozent ver­ringern. Anlass für erhöhte Aufmerksamkeit war die Klage, die 39 führende Pharmaunternehmen gegen das Arzneimittelgesetz Südafrikas vor dem Gerichtshof in Pretoria erhoben hatten. Während die Pharmahersteller in dem Gesetz die Gefahr sahen, dass im südafrikanischen Patentrecht verankerte Grundsätze für den Arzneimittelbereich willkürlich ausgehebelt wer­den könnten, befürchteten Gesundheitspolitiker, medizinische Experten und Interessenver­treter der Zivilgesellschaft Südafrikas, dass ein Erfolg der Klage den Zugang zu kosten­günstigen Medikamenten zur HIV-Therapie entscheidend einschränken könne. Es ging also um eine strittige Interpretation des südafrikanischen Arzneimittelgesetzes und dessen Ein­fluss auf das bestehende WTO/TRIPS-Abkommen, das unter bestimmten Umständen Zwangslizenzierungen zur Sicherung der medizinischen Versorgung ermöglicht.

Mittlerweile ist der Prozess durch eine außergerichtliche Einigung der streitenden Parteien beendet worden. Die Regierung von Südafrika hat bekräftigt, dass sie sich an die internatio­nalen Regelungen zum Schutz geistigen Eigentums halten wird. Die pharmazeutischen Un­ternehmen haben die Klage zurückgezogen und erkennen ausdrücklich das Recht der Regie­rungen an, unter bestimmten Umständen, wie in Art. 31 des TRIPS-Abkommens festgelegt, Zwanglizenzen zu vergeben. Beide Seiten haben vereinbart, nach praktikablen Regelungen zu suchen, die den Zugang zu bezahlbaren Medikamente gegen HIV/AIDS sicherstellt. Die Pharmaunternehmen haben sich bereit erklärt, ihre Produkte mit erheblichen Preisnachläs­sen (Selbstkostenpreis) oder kostenlos zur Verfügung zu stellen.

Gemeinsame Verantwortung

Neu entwickelte Medikamente haben in den Industriestaaten dazu geführt, dass die Infektion mit dem HI-Virus nicht mehr zwangsläufig zum Ausbruch der Krankheit und zum raschen Tod führt. Gut 15 Jahre nach der Entdeckung des HI-Virus stehen über 50 Arzneimittel zur Behandlung von Aids und den damit zusammenhängenden Erkrankungen zur Verfügung. Seit der Einführung der sog. antiretroviralen Therapie konnte z.B. die jährliche Zahl der neuen Aids-Fälle in Deutschland von zuvor ca. 2000 auf 500 pro Jahr gesenkt werden. Dies ist durch eine Verzögerung des Krankheitsverlaufs zu erklären. Die Zahl der Neuinfektio­nen ist seit Jahren unverändert. Die Behandlung mit diesen Medikamenten verhindert vorzeitigen Tod und enormes Leid. Sie eröffnet zudem Therapiemöglichkeiten bei Begleiter­krankungen. Eine Vielzahl neuer Medikamente, die die pharmazeutische Industrie derzeit entwickelt, weckt Hoffnungen auf noch wirksamere Behandlungsmöglichkeiten. Seit dem Beginn der Aids-Pandemie bemühen sich die Kirchen in den schwer betroffenen Entwicklungsländern wie z.B. in Südafrika, die Folgen von HIV/AIDS zu lindern, die Dis­kriminierung Infizierter zu überwinden und die Lebensqualität der Betroffenen zu verbes­sern. Der weiteren Ausbreitung der Krankheit durch Erziehung und Information vorzubeu­gen und gesellschaftliche Ursachen der Vulnerabilität für HIV/AIDS zu bekämpfen, sind weitere Schwerpunkte der Arbeit.

In vielen Ländern unterhalten die Kirchen allein oder zusammen mit anderen Nichtregie­rungsorganisationen einen bedeutenden Teil der Gesundheitsdienste. Insbesondere kümmern sie sich um die Versorgung von marginalisierten und schwer erreichbaren Bevölkerungs­gruppen z.B. in ländlichen Gebieten. Die Kirchen tragen dabei Initiativen mit, auch Men­schen außerhalb der Industriestaaten Zugang zu den Ergebnissen wissenschaftlicher Fort­schritte in der Aids-Bekämpfung zu ermöglichen.

Auch die pharmazeutische Industrie hat seit vielen Jahren erfolgreiche Initiativen ergriffen, um notleidenden Menschen in Entwicklungsländern zu helfen. Die forschenden pharmazeu­tischen Unternehmen haben eine zentrale Rolle bei der Forschung und Entwicklung neuer Arzneimittel und Impfstoffe übernommen. Der Innovationskraft der forschenden Unterneh­men ist es zu verdanken, dass heute effektive Medikamente zur Behandlung von HIV/AIDS zur Verfügung stehen. Darüber hinaus leisten sie ihren Beitrag gegen die Ausbreitung von HIV/AIDS, indem sie medizinisches Personal ausbilden, Präventionsprogramme durchfüh­ren, für viele Regionen der Welt Medikamente und Impfstoffe spenden und den Ausbau der medizinischen Infrastruktur unterstützen.

Die Gemeinsamkeit der Verantwortung haben Kirchen und pharmazeutische Unternehmen stets betont. Das 1992 verabschiedete Positionspapier "rzneimittelversorgung in der Drit­ten Welt"der Gemeinsamen Konferenz Kirche und Entwicklung und des Verbandes forschender Arzneimittelhersteller führt dazu eine Reihe von Einsichten und Postulaten auf:

- Festgehalten wird, "dass die Bevölkerung in der Dritten Welt ein vitales Interesse daran hat, ausreichend und zu verantwortbaren Bedingungen mit Arzneimitteln ver­sorgt zu werden."

- Einvernehmlich konstatiert wird auch, dass "von der international tätigen forschenden Pharmaindustrie eine Führungsrolle in bezug auf hohe ethiosche Standards unternehmerischen Handels ausgehen (muss)." Dieses gilt auch für die lokalen Niederlassungen.

- Betont wird in dem gemeinsamen Papier ferner die besondere Verantwortung der In­dustrie für Forschung und Entwicklung neuer Medikamente und Impfstoffe gegen Krankheiten in Entwicklungsländern.

- Schließlich wird in Fällen schwerwiegender Unterversorgung ausdrücklich empfoh­len, "Sondervereinbarungen zwischen Regierungen, internationalen Organisationen, nichtstaatlichen Organisationen im Gesundheitsbereich, Kirchen und der Pharma-In­dustrie (zu treffen)."

Abgestimmtes Handeln

GKKE und VFA sind sich bewusst, dass zur Überwindung der weltweiten HIV/AIDS-Krise größere Anstrengungen aller Beteiligten auf allen Ebenen erforderlich sind. Dabei mangelt es bisher weniger an Wissen über sinnvolle und wirksame Maßnahmen als an politischem Willen zur Verantwortung, an Koordination und Kohärenz der Maßnahmen wie auch an den erforderlichen Ressourcen. Die Debatten der jüngsten Zeit haben zu einem breiten Bewusst­sein geführt, dass ein konzertiertes Zusammenwirken zwischen den Regierungen des Nor­dens und des Südens, den internationalen Organisationen, der Industrie und den Kirchen und anderen Nichtregierungsorganisationen dringend notwendig ist. Der weitere Dialog über künftige Formen des Zusammenwirkens und die konkreten Maßnahmen sollten auf folgender Grundlage entwickelt werden:

- Der Zugang zur medizinischen Behandlung ist ein universelles Menschenrecht, das auch Menschen in Entwicklungsländern zusteht und an dessen Verwirklichung die Beteiligten ernsthaft arbeiten müssen. In Art. 12 des UN-Paktes über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte erkennen die Vertragsstaaten das Recht eines jeden Einzelnen auf das für ihn erreichbare Höchstmaß an körperlicher und geistiger Ge­sundheit an. Die Bestimmung ist in Verbindung mit Art. 2 (1) desselben Pakts zu le­sen, in dem sich die Vertragsstaaten verpflichten, einzeln und gemeinsam unter Aus­schöpfung aller Möglichkeiten fortschreitend die Realisierung der in dem Pakt ver­ankerten Rechte zu erreichen.

- Die bekannten Ursachen für einen unzureichenden Zugang zu Behandlungsmöglich­keiten wie:

- unzureichende Bereitstellung von Ressourcen und vernachlässigte Entwick­lung von Gesundheitssystemen,

- fehlende Kaufkraft für wirksame Arzneimittel,

- irrationale Auswahl und fragwürdiger Einsatz von Arzneimitteln und

- nicht zuletzt unzuverlässige und unkontrollierte Handels- und Versorgungssysteme müssen durch gemeinsame Anstrengungen aller Beteiligten überwunden werden.

- Die aktuelle und zukünftige Einbindung neu entwickelter Arzneimittel, Impfstoffe und anderer Mittel in konkrete Projekte und Programme muss unter Mitwirkung al­ler beteiligten Verantwortungsträger im Gesundheitssystem sowie der Betroffenen geplant und durchgeführt werden.

- Die Einführung neuer Therapieverfahren darf nicht dazu führen, dass Mittel für be­reits vorhandene, wirksame und unverzichtbare Maßnahmen verringert werden. Vielmehr sind zusätzliche Ressourcen zu mobilisieren.

- Je nach landesspezifischem Kontext sind unter expliziter Beteiligung von Betroffenen möglichst hohe medizinische, operationell-strukturelle und ethische Standards anzu­streben.

- Die Therapie der HIV-Infektion muss auch künftig unlösbar mit der Prävention ver­bunden sein. Die spezifische Behandlung einer HI-Infektion ist Teil eines Konti­nuums der Versorgung, das in ein wirksames Gesundheitssystem des jeweiligen Landes eingebettet werden muss.

Kirchen und forschende Arzneimittelhersteller sind überzeugt, dass der gemeinsame Di­alog über diesen Fragenkomplex neue Grundlagen für wirksame Maßnahmen gegen die HIV/AIDS-Pandemie schaffen wird. Es ist unverkennbar, dass alle Beteiligten größere Anstrengungen unternehmen müssen, um der zerstörerischen Krankheit zu begegnen. Die forschenden Arzneimittelhersteller unterstützen das Prinzip differenzierter Preisbil­dung für Medikamente zur Behandlung von HIV/AIDS. Die Kirchen bekennen sich zu ihrer Aufgabe, die kirchlichen Partner im Süden zu ermutigen und darin zu unterstützen, das Netz des Schweigens in ihren Gesellschaften zu durchbrechen.

Zur nachhaltigen Verbesserung der Situation HIV-Infizierter in Entwicklungsländern ist bei den Vereinten Nationen ein globaler Gesundheitsfonds aufgelegt worden. Die Staa­tengemeinschaft und insbesondere die Bundesregierung ist aufgefordert, den Fonds zu unterstützen und die erforderlichen finanziellen Mittel langfristig zur Verfügung zu stellen.

Die Entwicklungsländer sind aufgerufen, der AIDS-Bekämpfung höchste Priorität einzu­räumen und in Kooperation mit den UN-Organisationen, den Industriestaaten, der Pharmaindustrie, Kirchen und Nichtregierungsorganisationen partnerschaftliche Lö­sungskonzepte zu verwirklichen. Ziel aller Bemühungen muss es sein, die Leistungsfä­higkeit der Gesundheitssysteme zu stärken und eine adäquate medizinische Versorgung aller Bedürftigen zu gewährleisten.

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