Erklärung des Vorstands der Deutschen Kommission
Justitia et Pax
Im Juni 2021 hat der Vorstand der
Deutschen Kommission Justitia et Pax in einem Orientierungspapier erläutert,
wie die internationale Verteilung von Corona-Impfstoffen gerecht und
solidarisch gestaltet werden kann. Seitdem konnten die Produktionskapazitäten
für Impfstoffe glücklicherweise weiter ausgebaut werden. Impfstoff herstellende
Unternehmen aus Europa und den Vereinigten Staaten haben inzwischen
angekündigt, auch in Ländern des Globalen Südens neue Produktionsstätten
aufzubauen. Nichtsdestotrotz sind weiterhin viele Länder des Globalen Südens
stark unterversorgt. Auf dem afrikanischen Kontinent etwa waren bis zum
01.12.2021 nach Angaben der Africa Centres for Disease Control and Prevention
lediglich 7% der Bevölkerung vollständig geimpft. In 82 Ländern der Welt
scheiterten nach Angaben der WHO im Oktober 2021 höhere Impfquoten am
Impfstoffmangel. Gerade begehrte, weil besonders wirksame Impfstoffe, wie die mRNA-Impfstoffe
von BioNTech-Pfizer und Moderna, bleiben ein knappes Gut. Dies nehmen wir mit
großer Sorge wahr, auch weil durch die Auswirkungen der Pandemie auf den
Gesundheitssektor und alle anderen Sektoren die Realisierung der Nachhaltigen
Entwicklungsziele („Sustainable Development Goals“ – „SDGs“) weiter
zurückgeworfen wird, deren Erreichen schon vor Ausbruch der Pandemie (v.a. auch
aufgrund der unzureichenden zur Verfügung gestellten Mittel) gefährdet war. Nicht
zuletzt drohen sozio-ökonomische Ungerechtigkeiten weiter zu wachsen. Durch das
langsame Impftempo wird auch die wirtschaftliche Erholung verzögert und
Investitionen, die notwendig sind, um die Pandemie und ihre wirtschaftlichen
sowie sozialen Folgen einzudämmen, werden für die Länder des Globalen Südens
deutlich teurer, weil sie mit einer höheren Zinslast konfrontiert sind und
weniger Steuereinnahmen zur Verfügung stehen haben.
Aus diesen Gründen fordern wir die
Bundesregierung dazu auf, in der neuen Legislaturperiode die Stärkung der Globalen
Gesundheit erheblich zu forcieren. Um dieses Ziel zu erreichen, empfehlen wir
der Bundesregierung, folgende Maßnahmen zu ergreifen:
- Die
Bundesregierung sollte sich stärker als bisher dafür einsetzen, dass die
Nachhaltigen Entwicklungsziele und die in deren Indikatoren formulierten
Vorsätze erreicht werden. Dazu sollte die Bundesregierung unter anderem ihre
Investitionen in die Stärkung von Gesundheitssystemen steigern.
- Wir
begrüßen es, dass die Parteien der neuen Regierungskoalition sich in ihrem
Koalitionsvertrag dafür ausgesprochen haben, den One-Health-Ansatz weiterhin zu
fördern. Wir werten es zudem als positives Signal, dass die neue
Bundesregierung sich verstärkt für den Ausbau der Wasser-, Sanitär- und
Hygieneversorgung (WASH) und für die Bekämpfung von armutsassoziierten und
vernachlässigten Tropenkrankheiten engagieren will.
- Aufgrund
der Pandemie ist es dringender denn je, das Ziel einer allgemeinen
Gesundheitsversorgung („Universal Health Coverage“), einschließlich der
Absicherung gegen finanzielle Risiken, des Zugangs zu hochwertigen grundlegenden
Gesundheitsdiensten und des Zugangs zu sicheren, wirksamen, hochwertigen und
bezahlbaren unentbehrlichen Arzneimitteln und Impfstoffen für alle (SDG 3,
Target 3.8), schnellstmöglich zu verwirklichen. Die Bundesregierung sollte
künftig einen stärkeren Beitrag dazu leisten, dass dieses Ziel erreicht wird.
- Impfstoffe
und Medikamente zur Bekämpfung von Epidemien und Pandemien sowie relevante
Medizintechnologien wie beispielsweise Diagnoseverfahren und medizinischer
Sauerstoff müssen als globales öffentliches Gut („global common good“)
behandelt werden. Entsprechend müssen Regierungen und pharmazeutische Unternehmen
ihrer Verantwortung nachkommen, jedem Menschen einen Zugang zu diesen
Impfstoffen, Medikamenten und Medizintechnologien zu ermöglichen.
- Die
im Rahmen von ACT-A (Access to COVID-19 Tools Accelerator) gegründete
COVAX-Initiative zur Beschaffung und Verteilung von Impfstoffen weltweit bleibt
weiterhin ein wichtiger Baustein, um eine gerechte Verteilung von Impfstoffen
gegen das Corona-Virus zu ermöglichen. Daher begrüßen wir die Ankündigung der neuen
Regierungskoalition, COVAX durch zusätzliche finanzielle Unterstützung und die
schnelle Lieferung von Impfstoffen zu stärken. Ebenso erfreulich ist die
Ankündigung, dass sich die neue Regierung dafür einsetzen will, die globale
Impfallianz mit ausreichend Mitteln auszustatten. Ergänzend dazu sollte die
Bundesregierung die anderen Säulen von ACT-A, die sich auf Diagnostika,
Medikamente und Gesundheitssystemstärkung konzentrieren, ebenfalls finanziell
und politisch zusätzlich stärken.
- Um
einen universellen Zugang zu Impfstoffen und Medikamenten und damit auch eine
erfolgreiche Pandemiebekämpfung zu ermöglichen, ist neben einer Stärkung von
COVAX und dem Ausbau von Produktionskapazitäten im Globalen Norden auch ein
Zugang zu Technologien, Patenten und Wissen zur (Weiter-)Entwicklung und
Herstellung dieser Medikamente und Impfstoffe notwendig. In diesem Sinne ist es
richtig, dass sich die neue Regierung für freiwillige
Produktionspartnerschaften und den Transfer von Know-how einsetzen will. Es
zeigt sich jedoch, dass nicht nur die Debatte um den TRIPS-Waiver aktuell festgefahren
zu sein scheint, sondern auch der Medicines Patent Pool (MPP) und der COVID-19
Technology Access Pool (C-TAP) im Kontext der Corona-Pandemie bislang größtenteils
erfolglos geblieben sind. Eine Unterstützung der mRNA-Hubs in Argentinien,
Brasilien und Südafrika ist weitgehend ausgeblieben. Aus diesem Grund sollten die
neue Bundesregierung wie der neugewählte Bundestag auch gesetzliche Grundlagen
und eventuell Anreizsysteme für Unternehmen schaffen, die sicherstellen, dass der
Wissens- und Technologietransfer in die Länder des Globalen Südens deutlich
stärker erfolgen kann. Entsprechende vertragliche Verpflichtungen bei der
Finanzierung von Forschungsvorhaben mittels öffentlicher Hand sollten bedacht
werden. All dies würde den Aufbau von zusätzlichen Impfstoffproduktionen in den
Ländern des Globalen Südens fördern. Eine solche, möglicherweise auch preisgünstigere
Produktion würde den Zugang zu Corona-Impfstoffen in Ländern des Globalen
Südens erleichtern. Impfstoffproduktionen vor Ort können zudem die Akzeptanz gegenüber
den Impfstoffen und damit die dringend erforderliche Impfbereitschaft erheblich
erhöhen. Ein Wissenstransfer bietet zudem die Chance, dass dadurch die
Entwicklung weiterer mRNA-Impfstoffe beschleunigt werden könnte, mit deren
Hilfe bestimmte vernachlässigte Tropenkrankheiten bekämpft werden können. Da
mRNA-Impfstoffe auch technologischen Gründen schneller, kostengünstiger und mit
weniger biotechnologischen Aufwand produziert werden können, als dies
beispielsweise bei Vektorimpfstoffen der Fall ist, verfügen sie zudem über das
Potenzial, durch den Aufbau einer globalen, dezentralisierten Impfstoffproduktion
noch schneller auf lokale Krankheitsausbrüche reagieren zu können.
- Es
muss sichergestellt werden, dass überschüssige Impfstoffe aus Deutschland und
anderen europäischen Ländern rechtzeitig vor dem Verfallsdatum – und unter
Berücksichtigung der logistischen Gegebenheiten – an Länder des Globalen Südens
weitergegeben werden. Die Bundesregierung sollte logistische Hilfe bei der
Verteilung anbieten. Dabei ist dem fatalen Eindruck in den Empfängerländern
entgegenzuwirken, dass es überschüssige Impfstoffe aus Deutschland minderer
Qualität (weniger sicher und wirksam) seien, die sich deshalb in Deutschland zu
„Ladenhütern“ entwickelt hätten.
- ·
Gleichzeitig
ist es nachvollziehbar, dass viele Stimmen aus dem Globalen Süden auf einen
gleichberechtigten Zugang zu den besonders begehrten mRNA-Impfstoffen für die
Bevölkerungen des Globalen Südens drängen. Ein Zugang zu den in allen Ländern
der Europäischen Union zugelassenen Impfstoffen ist nämlich nicht nur aufgrund
der besonders hohen Wirksamkeit dieser Impfstoffe eine Gerechtigkeitsfrage,
sondern auch, weil andere Impfstoffe in vielen Ländern der Europäischen Union
nicht anerkannt werden. Mit einem anderen Impfstoff Geimpfte werden daher wie
Ungeimpfte behandelt. Für sie gelten dieselben Einschränkungen wie für
Ungeimpfte und somit gegebenenfalls auch Quarantänepflichten, die nur für
Ungeimpfte bestehen. Dadurch entstehen zusätzliche Ungleichheiten.
- Vertragsklauseln,
die eine Weitergabe von Impfstoffen an Länder des Globalen Südens unterbinden,
erschweren oder verteuern, sollten in künftigen Verträgen mit
Impfstoffherstellern nicht mehr aufgenommen werden. Im Hinblick auf bestehende
Verträge sollte der Druck auf die Hersteller erhöht werden, nicht von
entsprechenden Klauseln Gebrauch zu machen. Dass eine möglichst schnelle,
möglichst flächendeckende Verteilung von Impfstoffen nicht nur eine Frage der
Gerechtigkeit ist, sondern auch im Eigeninteresse des Globalen Nordens liegt,
wird daran deutlich, dass sich das Risiko der Bildung von neuen Virusvarianten
bei niedriger Impfquote erhöht. Dies geht mit der Gefahr einher, dass aktuelle
Impfstoffe weniger effektiv wirken und die Pandemie unnötig verlängert wird. In
diesem Sinne gilt: „No one is safe, unless everyone is safe“.
- Wir
begrüßen die Vereinbarung im Koalitionsvertrag, dass sich die neue Regierung
für eine Stärkung und Reform der Weltgesundheitsorganisation (WHO) einsetzen
will. Dies sollte die Stärkung der politischen Rolle der WHO einbeziehen. Um,
wie von der neuen Regierungskoalition angestrebt, die globale
Gesundheitsarchitektur zu stärken, ist es notwendig, das Zusammenspiel von WHO
und GFATM (Global Fund to Fight AIDS, Tuberculosis and Malaria), GAVI (Global
Alliance for Vaccines and Immunisation), CEPI (Coalition for Epidemic
Preparedness Innovations) und anderen wichtigen Akteuren der Globalen
Gesundheit sowie mit den anderen Organisationen und Organen der Vereinten
Nationen zu verbessern. Zugleich sollte die Bundesregierung durch eine
Aufstockung der finanziellen Zuwendungen der Bundesrepublik Deutschland an die
WHO dazu beitragen, dass der WHO die Mittel zur Verfügung stehen, die sie
benötigt, um ihren vielfältigen Aufgaben unter anderem als koordinierende
Organisation der Globalen Gesundheit und Beratungsdienst vor Ort unabhängig von
Partikularinteressen gerecht zu werden. In diesem Zusammenhang ist insbesondere
eine Erhöhung zweckungebundener Mittel notwendig, um der WHO mehr Spielraum in
ihren Finanzierungsentscheidungen zu ermöglichen.
- Während
der Pandemie wurden die fatalen Folgen sichtbar, die aus den strukturellen Defiziten
im Bereich der Globalen Gesundheit resultieren. Um diesen umfassenden und
mannigfaltigen Herausforderungen gerecht zu werden, haben die Mitglieder des
Unterausschusses Globale Gesundheit am Ende der 19. Legislaturperiode das
Bundestagspräsidium gebeten, den Unterausschuss in einen regulären ständigen
Ausschuss zu überführen. Damit würde auch unserer Einschätzung nach dem Thema
eine herausgehobene Bedeutung in der parlamentarischen Arbeit gegeben und die
Kohärenz zu unterschiedlichen Fachlichkeiten ermöglicht.
- Die
Bevölkerung vor Ort im Globalen Süden sollte in Zukunft in Fragen der
Gesundheit stärker miteinbezogen werden. Religionsgemeinschaften und
zivilgesellschaftliche Gruppen wie Gewerkschaften, Patientenverbände oder
andere Selbstorganisationsformen, unabhängige Wissenschaft und Medien tragen
dazu bei, die lokalen Bedarfe zu artikulieren. Die Berücksichtigung dieser
Perspektiven und der örtlichen Umstände sind für eine gerechte
Gesundheitsversorgung, die über die Pandemiebewältigung hinauszugehen hat,
unerlässlich.
Die weiterhin in vielen Regionen der
Welt akute und gravierende Notlage und die erheblichen strukturellen Defizite
im Bereich der Globalen Gesundheit machen schnelles und umfassendes Handeln
notwendig. Wir rufen die Bundesregierung daher auf, entsprechende Maßnahmen zu
realisieren. Dadurch würde die Bundesregierung einen wichtigen Beitrag zur
Realisierung des Menschenrechts auf Gesundheit und zur Lösung der dringenden
Herausforderungen im Bereich der Globalen Gesundheit leisten.
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